Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas
)Porträt des Schriftstellers Max Herrmann-Neiße
Hector-Bau > Ebene 0 > Ausstellung Raum 1
Einstieg
George Grosz zeigt in diesem Porträt den Schriftsteller Max Herrmann-Neisse (1886–1941), der mit seinen expressionistischen, später auch neusachlichen Texten zu den wichtigsten Berliner Autoren der 1920er Jahre gehörte. Beide Künstler verband eine enge Freundschaft, beide galten als Bohemiens, äußerten in ihren Werken beißende Sozialkritik und pflegten einen dandyhaften Lebensstil. »Wir waren beide sowohl Lyriker als auch Zyniker, korrekt und anarchistisch!«, so Herrmann-Neisse. Dem 1925 entstandenen Bildnis gehen mehrere Bleistiftstudien voraus, Grosz zeigt den Dichter wie auf einer Bühne sitzend.
Herrmann-Neisse wirkt zusammengesunken und schwermütig, gleichzeitig distanziert und aufmerksam beobachtend. Grosz beschönigt diesen Eindruck nicht, sondern stellt den kleinwüchsigen und von einem Buckel gezeichneten Körper in einem ungefilterten Realismus dar. Gleichzeitig aber betont er den Intellekt seines Freundes, indem er dessen übergroßen Kopf detailliert wiedergibt. Auch die ausdrucksstarken Hände – Werkzeuge des Schriftstellers wie des Künstlers an sich – hebt er hervor. Grosz’ treffendes Bildnis zählt zu den Höhepunkten seiner Porträtmalerei sowie der Malerei der Neuen Sachlichkeit.
Hintergrund
Der expressionistische Lyriker und Schriftsteller Max Herrmann-Neiße (1886–1941) zählte nicht nur aufgrund seiner avantgardistischen Texte zu den bekannten Literaten seiner Zeit. Darüber hinaus trug auch seine auffallende körperliche Erscheinung dazu bei, dass er für Künstler wie George Grosz, Ernst Ludwig Meidner (1884–1966) oder Oskar Kokoschka (1886–1980) zu einem gefragten Modell wurde.
Im Vergleich zu Grosz’ 1927 geschaffenem Neiße-Porträt, das sich heute im Besitz des New Yorker Museum of Modern Art befindet, ist der Literat in der Mannheimer Fassung wesentlich schonungsloser und provokanter festgehalten: Auf dem unverhältnismäßig großen, kahlen Kopf sitzen runde Brillengläser, hinter denen introspektive, aber wachsame Augen aufblitzen. Sein kleinwüchsiger, buckliger Körper steckt in einem bürgerlichen Dreiteiler und in Gamaschenschuhen, während er gekrümmt in einem bunt geblümten Sessel sitzt, der seine verwachsene Erscheinung zusätzlich konterkariert. In diesem Bildnis fing der Maler die ganze Widersprüchlichkeit des anarchisch-zynischen Poeten mit seinem zerbrechlichen, verwachsenen Körper ein.
Das Porträt zählte im Jahr seiner Entstehung zu den groteskesten Werken in der Mannheimer Ausstellung Neue Sachlichkeit, in der die Künstler dieser neuen, nachexpressionistischen Malerei erstmals in einem größeren Rahmen präsentiert wurden. Zwölf Jahre später war es auf der Münchner Schau »Entartete Kunst« zu sehen. Sowohl Grosz als auch Herrmann-Neiße zählten zu den mehrfach angeklagten und dann verbotenen Künstlern, die Deutschland 1937 bereits verlassen hatten: Der Maler war in die USA emigriert, der Dichter fand in der Schweiz und England Exil.
Nennung im Katalog
GROSZ, GEORGE, Berlin.
43. Portrait des Schriftstellers Max Herrmann-Neiße 1925.
Zur Ausstellung
Noch während der Laufzeit der Ausstellung erwarb die Kunsthalle, trotz finanzieller Schwierigkeiten, das Gemälde für 2.500 Reichsmark. 1933 wurde es in der Ausstellung „Kulturbolschewistische Bilder“ in Mannheim angeprangert, 1937 als „entartet“ beschlagnahmt und später durch die Galerie Buchholz, „verwertet“. 1949 konnte die Kunsthalle das Bild nach juristischen Auseinandersetzungen zurückerwerben. Die Zuordnung des Werks ist durch die Abbildung im Katalog von 1925 und den Briefwechsel im Archiv der Kunsthalle Mannheim zweifelsfrei zu belegen. Die Werke von Grosz waren in einem eigenen Saal ausgestellt.
IH/MH
Einstieg
In this portrait, George Grosz depicts the writer Max Herrmann-Neisse (1886–1941), who with his Expressionist texts, and later also his New Objectivist writings, was one of the most important authors in the Berlin of the 1920s. The two artists were united by a close friendship, were considered bohemians, cultivating a dandyish lifestyle, and expressed biting social critique in their works. “We were both lyricists and cynics, respectable and anarchistic!” stated Hermann-Neisse. Numerous pencil studies preceded the work, painted in 1925, in which Grosz portrays the poet as if he is seated on a stage.
Herrmann-Neisse appears to be slumped in on himself and melancholy, simultaneously distant and attentively observing. Grosz does not flatter the sitter, presenting the short-statured man afflicted with a hump in an unfiltered realism. At the same time, however, he emphasizes his friend’s intellect, depicting his oversize head in great detail, but also the expressive hands—tools of both the writer and the artist. Grosz’s penetrating likeness of Herrmann-Neisse is one of the high points of his portraiture, as well as of New Objectivist painting.
Hintergrund
The Expressionist lyric poet and writer Max Herrmann-Neisse (1886–1941) was regarded as one of the best-known men of letters of his time, not only for his avant-garde texts. His remarkable appearance also contributed to the fact that he was much in demand as a model for artists such George Grosz, Ernst Ludwig Meidner (1884–1966) and Oskar Kokoschka (1886–1980).
Compared with Grosz’s portrait of Neisse, created in 1927 and now in the possession of the Museum of Modern Art in New York, the Mannheim version depicts the writer in a considerably more ruthless and provocative manner: On the disproportionately large, bald head sit round spectacles, behind which his introspective but alert eyes sparkle. The small, hunchbacked figure is encased in a bourgeois three-piece suit and shoes with gaiters, while he sits hunched up in a brightly flowered chair, which contradicts his misshapen appearance even more.
In this portrait, the artist has captured the entire contradiction between the anarchic-cynical poet and his fragile, deformed body. During the year of its creation, the portrait was one of the most grotesque works on view in the Mannheim exhibition New Objectivity, in which post-Expressionist painting was presented on a large scale for the first time. Twelve years later, Grosz’s work was on display in the Munich exhibition Degenerate Art. Both Grosz and Herrmann-Neisse were among the artists who were indicted and then banned, and who had already left Germany in 1937: Grosz immigrated to the United States, while the poet took refuge in exile in Switzerland and England.
Kunsthalle Mannheim