© Alberto Giacometti
(

Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas

)

Composition avec trois figures et une tête (La place)

Komposition mit drei Figuren und einem Kopf (Der Platz)
Composition with Three Figures, one Head (the Square)
1950

Alberto Giacometti

(1901-1966)

Material / Technik
Bronze
Farbe
Kategorie des Exponats
Skulptur
Gattung
Rundplastik
Abstrakte Skulptur
Beschriftung / Signatur
Signatur: Bez. auf dem re. Rand der Sockelplatte hinten mi. "A Giacometti 5/6"; auf dem hinteren Rand der Sockelplatte re. "Alexis Rudier. / Fondeur. Paris."
Erwerbungsjahr
1962
Maße
56,00 cm x 56,00 cm x 41,50 cm
Standort

Jugendstil-Bau > Ebene 1 > Galerie 12

Einstieg

Was wie ein Spielzeugmodell wirkt, entpuppt sich als ein beziehungsreiches Werk. Alberto Giacometti vereint in dieser Arbeit drei überlängte Figuren mit der Darstellung eines Kopfes. Die zerbrechlich wirkenden Figuren sind frontal auf uns ausgerichtet und auf einer Plinthe – dem titelgebenden »Platz« – verteilt.

Ihre Vereinzelung springt sofort ins Auge. Beziehungslos und starr stehen sie auf einem eng umrissenen Feld und bleiben mit Ausnahme des männlichen Kopfes merkwürdig anonym, als wären sie körperlose Schatten. Giacometti arbeitete seit den 1930er Jahren an Gruppenplastiken, die um das Motiv des Platzes kreisen. Dabei interessieren ihn die Beziehung zwischen Figur und Raum sowie die Anordnung der Körper auf einer Fläche.

Sein »Platz« gibt aber auch ein Rätsel auf. In der Kombination von Körper und Kopf klingt ein surrealistisches Element an, das scheinbar Zufälliges vereint. Nach 1945 wurden die Werke des Künstlers auch mit dem Existenzialismus in Verbindung gebracht. Seine Figuren scheinen von einem Trauma befallen, sie sind ausgezehrt, als stünden sie kurz vor dem Verschwinden. In ihrer Vereinzelung sind sie auf sich selbst zurückgeworfen, was erst durch ihre räumliche Verankerung offensichtlich wird.

Hintergrund

Die 1950 entstandene »Komposition mit drei Figuren und einem Kopf (der Platz)« aus bemalter Bronze zeigt aufs Beste eine von vielen innovativen Konzeptionen, die der Schweizer Bildhauer und Maler Alberto Giacometti in seinem vielseitigen Oeuvre entwickelte: die Idee der »Skulptur als Platz«. Der Sockel, ein in der modernen Bildhauerkunst zunehmend kritisch befragtes Element, wurde zum weitläufigen Platz der Darstellung erklärt. Auf diesen Plattformen ließ Giacometti eine oder mehrere Figuren stehen oder schreiten und schuf damit das expressive Abbild einer gesellschaftlichen Realität.

In diesen Skulpturen wird die soziale Verfasstheit von Räumen nachvollziehbar. Es sind die Orte, Subjekte und Gegenstände, die mit ihren Handlungen, Funktionen und Bestimmungen Bezüge zueinander herstellen und auf diese Weise Raum generieren. Damit überführte der Künstler eine maßgebliche Erkenntnis der Raumtheorie, die disziplinübergreifend eines der wichtigsten Forschungsfelder des 20. Jahrhunderts darstellte, in ein Bild.

Nach der Ausbildung an der Genfer Kunstgewerbeschule lebte Giacometti ab 1922 vorwiegend in Paris. Anfang der 1930er Jahre schloss er sich den Surrealisten an. Unter dem Eindruck ihrer verfremdenden, fragmentarischen Gestaltungsprinzipien begann Giacometti mit der Formvereinfachung und extremen Überlängung der Bronzefiguren, die nach den bedrückenden Erlebnissen der Kriegsjahre seit 1945 sein Werk charakterisierten. Diese hoch gewachsenen, fragilen Figuren sind ein besonders eindrucksvolles Beispiel für eine Tendenz, die viele Bildhauer der Zeit einte.

Sie schufen ihre Werke auf der Grundlage eines überindividuellen, existenziellen Verständnisses vom Menschen. Dieses Menschenbild entstand in Wechselwirkung mit Literatur und Philosophie, etwa mit den Texten von Samuel Beckett (1906–1989) und Jean-Paul Sartre (1905–1980), mit denen Giacometti gut bekannt war. In der damaligen Vorstellung galt das Individuum als isoliert, denn nur durch das Erleben seiner selbst konnte es sich als Mensch verstehen. Der Einzelne verspürte eine wachsende Befremdung und damit Distanz zu sich und seinem Umfeld.

Giacometti brachte diesen existenzialistischen Subjektbegriff mittels einer Reihe spezifischer Darstellungsmittel zum Ausdruck: der Entmaterialisierung der Form, der Fragmentierung der Volumina, der Zerklüftung der Oberfläche, der extremen Vergrößerung und Verkleinerung der Figuren sowie deren – auch in Gruppen – vereinzelter Positionierung. Die geschlossenen, schweren Plinthen oder »Plätze« und die im Vergleich zu den überschlanken Körpern wuchtigen Füße betonten die Zerbrechlichkeit der Figurenensembles noch.

Das Verhältnis von Figur und Raum war in Giacomettis Augen die größte bildhauerische Herausforderung, die er unter Einbeziehung der räumlichen Erfahrung beim Betrachten seiner Werke analysierte. Für Jean-Paul Sartre, den Begründer des Existenzialismus, zeichnete die Skulpturen eine „absolute Distanz“ aus, die dem Dasein des Einzelnen entsprach: „Jede dieser Figuren enthüllt uns den Menschen, so wie man ihn sieht, so wie er sich in einer zwischenmenschlichen Umgebung zeigt […] aus der Distanz des Menschen; jede Figur vermittelt uns die Wahrheit, dass der Mensch nicht ist, um nachträglich gesehen zu werden, sondern dass er das Wesen ist, das seiner Natur nach für andere existiert. Wenn ich diese Frau aus Gips wahrnehme, dann begegne ich auf ihr meinem eigenen Blick. Daher das angenehme Unbehagen, in das mich ihr Anblick versetzt: ich fühle mich gezwungen und weiß nicht wozu und durch wen, bis ich entdecke, dass ich gezwungen werde durch mich selbst.“

Einstieg

What at first glance looks like a toy model proves to be a work rich in associations. In this sculpture, Alberto Giacometti combines three elongated figures with the representation of a head. The fragile-looking figures have a frontal orientation facing the viewer and are distributed across a plinth—the “square” of the title.

Their isolation is immediately apparent. Disconnected and rigid, they stand on a tightly delineated field, and with the exception of the male head, remain strangely anonymous, like bodiless shadows. In the 1930s Giacometti began working on group sculptures which revolve around the motif of the square, exploring the relationship between figure and space, as well as the arrangement of the bodies on a plane.

His “square” also has an enigmatic quality. The combination of body and head resonates with a Surrealist note, combining apparently chance elements. After 1945 the artist’s work became associated with the Existentialists. His emaciated figures, as if on the verge of disappearing, appear to be caught in a trauma. In their isolation they are thrown back on themselves, which first becomes apparent through their spatial embedding.

Hintergrund

Created in 1950, the painted bronze »Composition with Three Figures, one Head (The Square)« is a perfect example of one of the many innovative concepts, which the Swiss sculptor and painter Alberto Giacometti developed in his multifaceted oeuvre: the idea of the “sculpture as space”. The plinth, an element which has been increasingly called into question within the realm of modern sculpture, was declared to be an expansive setting for the representation.

On these platforms, Giacometti arranged one or more figures in a standing or striding position, thereby creating the expressive image of a social reality. The social constitution of space becomes comprehensible in these sculptures. They are the sites, subjects and objects which establish relationships with each other through their actions, functions and purposes, thereby generating space. In this way, the artist translated a fundamental finding of spatial theory into a visual image, thereby touching upon one of the principal fields of interdisci-plinary research during the twentieth century.

After studying at the School of Art and Crafts in Geneva, from 1922 onwards, Giacometti lived primarily in Paris. In the early 1930s, he joined the Surrealists. The impression of their alienating, fragmentary compositional principles inspired Giacometti to begin to create the simplified forms and elongated bronze figures that characterised his work from 1945 onward, following the oppressive experiences of the war years. These tall, fragile figures are a particularly impressive example of a tendency that united many sculptors at the time.

They created their works on the basis of a supra-individual, existential concept of mankind, which they developed in interaction with literature and philosophy, for example with the texts of Samuel Beckett (1906–1989) and Jean-Paul Sartre (1905–1980), whom Giacometti knew well. In the worldview of that time, the individual was seen as isolated, because it was only by experiencing their selfs that people could understand themselves as humans. As individuals, they experienced a growing alienation and thus a distance between themselves and their surroundings.

Giacometti expressed this existentialist concept by means of a series of specific forms of representation: the de-materialisation of form, the fragmentation of volumes, the fissuring of the surface, the extreme enlargement or reduction in size of the figures and their individual positions – occasionally in groups. The fragility of the groups of figures is emphasised by the heavy, solid plinths or “city squares” and the figures’ feet, which are massive in comparison to the ultra-slender bodies.

In Giacometti’s eyes, the relationship between figure and space was the greatest challenge for the sculptor, and he analysed this as well as taking into account the spatial experience when viewing his works. For Jean-Paul Sartre, the founder of Existentialism, the sculptures were characterised by an “absolute distance”, which corresponded to the existence of the individual: “Each of these figures reveals to us the individual as he is seen, as he appears in an interpersonal environment […] from a human distance; each figure conveys to us the truth that mankind does not exist in order to be seen after the event, but that he is a being whose nature it is to exist for others. When I perceive this woman made of plaster, I see in her my own gaze. That is the reason for the pleasant discomfort which I experience when looking at her; I feel myself compelled and do not know why or by whom, until I discover that I am compelled by my own self.”

Creditline

Leihgabe des Landes Baden-Württemberg seit 1962

Inhalt und Themen
Längung
Verfremdung
Mann
Existenzialismus
Surrealismus surrealism
Figurengruppe
Deformation
Raum
Platz
rau (Oberfläche)
stumpf (Oberfläche)
Kopf und Gesicht
konkav
Multimedia
Audio file

Auf einer leicht konkav gebogenen Bronzeplatte stehen drei Gestalten. Ein Kopf ragt aus dem Boden, als würde er sich aus der Fläche herausarbeiten. Kopf wie Körper sind über die Maßen lang und dünn. Zerbrechlich sehen die Figuren aus, ausgezehrt, als stünden sie kurz vor der Auflösung. Ihre Arme liegen eng am Körper, keine wendet sich der anderen zu. Die „Komposition mit drei Figuren und einem Kopf“, auch „Der Platz“ genannt, erarbeitet Alberto Giacometti 1950. In einem zunächst spielerischen Versuch arrangiert er einen Kopf und Figuren, die er in den Nachkriegsjahren modelliert hatte, auf einer den Umraum definierenden Fläche. Der Schweizer Bildhauer, Zeichner und Maler habe, so heißt es, eines Tages auf einem Platz seine Freundin aus der Ferne gesehen. Seitdem versuchte der aus dem Bergell im Kanton Graubünden stammende Künstler, diesen Blick aus der Distanz in seinen Werken nachzubilden: Beim reinen Betrachten entzieht sich die menschliche Gestalt eindeutiger Bestimmbarkeit und erscheint als Schemen oder Schatten. Sie können diesen Effekt ausprobieren: Beobachten Sie eine Person, die sich immer weiter von Ihnen entfernt. Bald müssen Sie die Augen zusammenkneifen, um sie noch sehen zu können. Zunehmend wird sie schmaler, verliert an Kontur und wird von anderen ununterscheidbar. Giacomettis Figuren werden in ihrer unterschiedlichen Größe zum Maßstab für den Raum: Je schmaler und kleiner sie sind, desto weiter wird der Raum, der sie umgibt. Doch gewinnen sie aus der Distanz eine schwer auszulotende Lebendigkeit und werden umso unbestimmbarer, je mehr man versucht, sie aus der Nähe zu fixieren.

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