© VG Bild-Kunst, Bonn 2018
(

Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas

)

Fétiche à clous

Nagelfetisch
Nail Fetish
1963

[vorname] Arman

(1928-2005)

Material / Technik
Revolver
Kategorie des Exponats
Skulptur
Gattung
Akkumulation
Objektkunst
Erwerbungsjahr
1984
Maße
54,00 cm x 30,50 cm x 25,80 cm
Standort

Jugendstil-Bau > Ebene 1 > Galerie 11

Einstieg

Armans »Nagelfetisch« verweist in seinem Titel auf afrikanische Kultobjekte – menschenähnliche Plastiken, gespickt mit Nägeln und anderen Materialien. Sie sollen vor bösem Zauber schützen, werden aber auch zu Voodoozwecken verwendet. Zunächst scheint Armans Arbeit einem solchen Kultobjekt nicht zu ähneln, denn der Künstler häuft eine große Anzahl gleichförmiger, gebrauchter Gegenstände – alte, teils verrostete Revolver – zu einer Art Pyramide an. Indem er lange Nägel in die Waffen schlägt, macht er sie unbrauchbar und entfremdet sie von ihrem ursprünglichen Zweck zu töten – der Titel „Nagelfetisch“ bekommt so eine ganz neue Bedeutung.

Bei seinen Akkumulationen greift Arman wie die Dadaisten in ihren Assemblagen bewusst auf Alltagsobjekte zurück. Wie andere Künstler des französischen Nouveau Réalisme war er außerdem von der modernen Warenwelt fasziniert, die den Menschen mit einer Masse gleichförmiger Gegenstände konfrontiert und zugleich immense Abfallberge produziert. So tauchen weggeworfene Dinge wiederholt in seinen Arbeiten auf. Säuberlich nach Typen geordnet (Rasierapparate, Schuhe und Pistolen) verweisen sie auf die zum Kult gewordene Ware.

Hintergrund

In mehreren Serien setzte sich Arman mit der blühenden Waren- und Wegwerfkultur nach dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Dabei entstand zwischen 1959 bis 1963 eine Reihe von Werkkomplexen, die bis heute als Hauptwerke des französischen Künstlers gelten.

In sogenannten »Accumulations« kombinierte er jeweils einen Typus von Gegenständen – Kaffeemühlen, Brillen, Schreibmaschinen oder Rasierapparate – und entwickelte aus der Anhäufung des Gleichen (meist industriell gefertigten Massenprodukts) einen kulturellen Kommentar. Die Alltagsgegenstände gelangen in den Blick, aber nicht dort, wo wir sie vermuten würden – als Bestandteile einer Wohnungen, einer Küche oder des Schlafzimmers – sondern als künstlerische Geste im Museum. Der Mensch als Schöpfer und Benutzer dieser Objekte ist abwesend und nur an seinen Benutzungsspuren zu erkennen. Aus diesem Grund besitzen Armans Akkumulationen stets auch eine fast schon archäologische Seite: Seine Anhäufungen treten uns als Zeichen einer (vergangenen) Epoche und Kultur entgegen.

In der Serie der »Poubelles« (frz. für »Mülleimer«) konzentriert er sich explizit auf die Kehrseite der Warenwelt, auf den Abfall und das Weggeworfene. Er betont dabei nicht nur den Kreislauf aus Konsum und Verfall sowie eine Kultur des Überflusses und der Verschwendung, sondern gewinnt seinen Objektansammlungen aufgrund ihrer eigenwilligen Kombination auch eine ästhetische Qualität ab. „Die unzähligen Müllkippen“, bemerkte er, „geben am ehesten über das alltägliche Leben einer Gesellschaft Auskunft.“ Gleichzeitig greift Arman ordnend in diese Müllkippen ein, fügt ihre Teile in einen raumplastischen Zusammenhang und arrangiert auf bewusste Weise die Reste der Warenwelt.

Seine Arbeitsweise nimmt Impulse der Dadaisten auf, die in ihren Collagen und Assemblagen ebenfalls Versatzstücke der Wirklichkeit – Zeitungsausschnitte, aber auch Glühbirnen, Gebisse, militärische Abzeichen und vieles mehr – verwendeten. Bereits Kurt Schwitters (1887–1948), der von Freunden als „metaphysischer Mülleimer“ bezeichnet wurde, sammelte in den 1920er- und 1930er-Jahren instinktiv Weggeworfenes, um es in seine Kunstwerke einzubeziehen und dadurch aufzuwerten.

Aber auch zur amerikanischen Pop Art der 1960er-Jahre besitzen die Werke Armans eine Verbindung. Während sich Künstler wie Andy Warhol (1928–1987) und Roy Lichtenstein (1923–1997) an den glänzenden und ebenfalls massenweise verbreiteten Stereotypen der Medienkultur bedienten, räumte Arman dem Gegenstand selbst den größten Raum in seinem Schaffen ein. Die materiellen Reste einer Zeit interessierten ihn im gleichen Maß, wie die immer gleichen Bilder von Stars und Katastrophen die Künstler der Pop Art faszinierten.

Einstieg

The title of Arman’s »Nail Fetish« references African cult objects—human-like sculptures, studded with nails and other materials. Designed to provide protection from evil magic, they are also employed for voodoo purposes. At first glance Arman’s work does not appear to resemble such a cult object as the artist has heaped together a large number of uniform, used objects—old, partially rusted revolvers—to create a type of pyramid. By hammering long nails into the revolvers he renders them useless, alienating them from their original purpose of killing—the title »Nail Fetish« thus acquires a completely new meaning.

In his accumulations Arman, like the Dadaists in their assemblages, consciously employs everyday objects. Like other artists of the French Nouveau Réalisme, he was also fascinated by the modern world of commodities which confronted people with a mass of uniform objects, while simultaneously producing huge mountains of rubbish. Thus discarded objects appear repeatedly in his work. Neatly classified according to type (razors, shoes, and pistols) they refer to the transformation of commodities into cult objects.

Creditline

Erworben aus Mitteln des Nachlasses Erika Harre, Mannheim, 1984

Inhalt und Themen
Konsum
Pistole
Nouveau Réalisme
Müll und Überrest
Sozialer Kommentar
Vertikalität
Materialien des Alltags
Destruktion destruction
geschlossene Form
Wiederholung
Verfremdung
stumpf (Oberfläche)

Werke von [vorname] Arman

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