Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas
)Hector-Bau > Ebene 1 > Kubus 1
Einstieg
Honoré Daumier ist vor allem für seine Karikaturen bekannt, in denen er die französische Julimonarchie (1830–1848) und später das Zweite Kaiserreich unter Napoleon III. bissig aufs Korn nahm. Seit den 1830er-Jahren fertigte er aber auch Skulpturen an, die sich ebenso kritisch und voller Witz mit seiner Gegenwart auseinandersetzen. In der Bronzeplastik »Ratapoil« stellt er den Typus des Spitzels unter dem späteren Kaiser Napoleon III. (1852–1870) dar. Selbstbewusst stützt sich der Provokateur auf seinen zurückgehaltenen Knüppel – aus seinem Rock schauen Propagandazettel hervor, während er seine Hosentasche für den von ihm verlangten Lohn aufhält. Der Bart der Figur, die trotz ihrer skizzenhaften Modellierung überaus lebendig und kraftvoll wirkt, ist dem Bart Napoleons III. nachempfunden. Daumier schafft somit eine Karikatur, die den restaurativen und militaristischen Kern der Politik Napoleons III. in einer einzigen Figur auf den Punkt bringt.
Hintergrund
Der Titel der Arbeit ist für sich genommen bereits ein satirischer Verweis und kann umgangssprachlich als „haarige Ratte“ übersetzt werden. Der »Grand Dictionnaire Universel du XIXe Siècle« widmete 1875 diesem Titel sogar einen eigenen Eintrag. Dem zufolge bezeichnet der inzwischen sprichwörtliche Ausdruck einen „Anhänger des Militarismus, insbesondere des napoleonischen Caesarismus“.
Die Skulptur – Daumier sollte dem »Oberst Ratapoil« später auch eine eigene lithografische Serie widmen – steht der Schärfe ihres Titels in nichts nach. Trotz verknitterter Kleidung, einem verbeulten Hut und der vielleicht etwas windschiefen Gestalt strahlt die Figur etwas Aggressives aus, das durch den griffbereiten Knüppel nicht zu übersehen ist. Die Karikatur hebt dieses gefährliche Potenzial aber keineswegs in einem leichtfertigen Witz auf, sondern stellt Ratapoil in all seiner durchtriebenen Lächerlichkeit bloß.
Verweist der Bart auf das französische Staatsoberhaupt Louis-Napoléon, der 1848 zum Staatspräsidenten gewählt wurde, die Französische Republik binnen weniger Jahre in eine despotische Diktatur und schließlich als Napoleon III. in das Zweite Kaiserreich (1852–1870) verwandelte, so deutet der Knüppel auf die Härte seiner Politik. Ratapoil wirbt einerseits für diese Politik – in seinem Mantel steckt Propagandamaterial – und andererseits setzt er sie gewaltsam um.
Die Skulptur zeigt aber auch, wie fließend Daumier die Kunstgattungen und Medien wechseln kann, ohne den Kern seiner Kritik dabei aus den Augen zu verlieren. Kennzeichnend hierfür ist unter anderem auch eine Serie von kleineren Plastiken, in denen er Würdenträger der Julimonarchie karikiert (1831–1835).
Einstieg
Honoré Daumier is primarily known for his caricatures, in which he provides a biting satirical critique of France’s July Monarchy (1830–48), and later the Second Empire under Napoleon III. From the 1830s on, however, he also produced sculptures which engage with contemporary society in an equally critical and humorous fashion. The bronze sculpture »Ratapoil« represents the social type of the spy under Napoleon III (1852–1870). Self-confident, the provocateur leans on his club, propaganda leaflets sticking out from under his gown, while he holds open his pocket for the payment he demands. The figure’s beard, which despite its rough modeling is extremely lively and vigorous, is based on the beard of Napoleon III. Daumier thus created a caricature which encapsulates the restorationist and military core of Napoleon III’s politics in a single figure.
Kunsthalle Mannheim
