Gemeinfrei
(

Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas

)

Utsikt fra Nordstrand

Aussicht von Nordstrand
View from Nordstrand
1900 - 1901

Edvard Munch

(1863-1944)

Material / Technik
Ölfarbe
textiler Bildträger
Kategorie des Exponats
Malerei
Gattung
Landschaftsmalerei
Beschriftung / Signatur
Signatur: u.r. "E.Munch"
Erwerbungsjahr
1954
Maße
71,50 cm x 100,00 cm
Standort

Nicht ausgestellt

Einstieg

Edvard Munch zeigt in diesem Gemälde eine Aussicht auf den Oslofjord in Norwegen. Doch schon auf den ersten Blick fällt auf, dass er sich weniger um eine getreue Naturdarstellung bemüht als um ein emotionales Erlebnis. Auf der in kühlen Blau- und Grüntönen gestalteten Wasseroberfläche sind zwei klar umrissene Inseln zu erkennen. Ihre kompakte Gestalt, aber auch das flächig ausgemalte Wasser vermitteln den Eindruck, als würden die Inseln über dem Fjord schweben. Am unteren Bildrand bricht Munch hingegen die tiefblauen Farbebenen mit den leuchtenden Rosa- und Weißtönen der Uferstraße auf.

Das über der Szene liegende Licht deutet auf eine helle nordische Sommernacht hin, in der der einsame Wanderer auf der Uferstraße einen langen Schatten wirft. Dabei wirkt er auch selbst wie ein Schatten, dessen Vereinzelung durch die kühle Fjordlandschaft noch gesteigert wird. Die dunklen Formen in der rechten unteren Bildecke – halb Pflanze und halb Gestein – greifen dagegen gespenstisch in den Bildraum und in Richtung des Wanderers aus und schaffen eine bedrohliche Atmosphäre.

Hintergrund

Mit »Aussicht von Nordstrand« findet sich auch im Bestand der Kunsthalle ein Gemälde des großen skandinavischen Künstlers Edvard Munch. Dem gewählten Thema der Naturdarstellung geschuldet, vermittelt das um 1900 entstandene Werk erst auf den zweiten Blick Munchs Meisterschaft in der Wiedergabe der menschlichen Psyche. In überwiegend kalten Blautönen gehalten, zeigt die Landschaftsdarstellung einen Ausblick vom Festland auf die Inselwelt der norwegischen Heimat des Künstlers. Von einem erhöhten Standort aus wird der Blick des Betrachters über eine Baumgruppe und anschließende Uferpromenade auf die unbewegte Wasserfläche eines Fjords gelenkt. Zwei dem Festland vorgelagerte Inseln unterbrechen im oberen Bilddrittel diese tiefblaue bis türkisfarbene Weite. Durch die Spiegelung der Konturen erscheint ihre gebirgige Gestalt verdoppelt. Innerhalb der mit schnellem Pinselduktus festgehaltenen Naturkulisse wirkt die links unten stehende männliche Figur verschwindend klein. Ihr lang gezogener Schatten ist auf der hell erleuchteten Uferstraße der einzige Begleiter des Spaziergängers.

Die Vorlage für das ursprünglich »Wolfsinsel von Nordstrand« benannte und später auch als »Sommernacht am Oslofjord« bezeichnete Gemälde fand Munch in Nordstrand südlich von Kristiania, dem heutigen Oslo. Zwischen 1893 und 1900 lebte der Maler für kurze Zeit immer wieder in diesem kleinen Küstenort. Zahlreiche Landschaftsdarstellungen aus der näheren Umgebung des Fischerdorfes, das heute längst Teil der norwegischen Hauptstadt ist, zeugen von der intensiven Auseinandersetzung des Künstlers mit der rauen Schönheit Skandinaviens. Bei allen diesen Schilderungen der Natur um Nordstrand beabsichtigte der Maler keine realistische Wiedergabe des vor Ort Gesehenen. Die in wenigen Farbflächen auf die Leinwand gebrachte Szenerie ist primär als Träger von Stimmungen und Gefühlen zu verstehen, die den Künstler unmittelbar beim Malen des Bildes bewegten. Vor diesem Hintergrund erscheint die Gleichsetzung des einsamen Spaziergängers mit der Person des Künstlers nahe liegend. Wie für die Interpretation der größeren Insel als geschlossene Lippen eines weiblichen Mundes gibt es dafür allerdings keine gesicherten Belege.

Einstieg

A single glance at this painting of the Oslofjord in Norway is all it takes to realize that Edvard Munch is more concerned with an emotional experience than a faithful representation of nature. Two clearly defined islands can be seen on the surface of the water, which he has captured in cool blue and green tones. Their compact form, but also the two-dimensional quality of the water, generate the impression that the islands are floating above the fjord. In contrast, at the bottom edge of the painting, Munch disrupts the arrangement of deep blue color with the bright pink and white tones of the road running alongside the fjord.

The light illuminating the scene indicates a bright Nordic summer night, in which a solitary walker casts his long shadow onto the fjordside road. The figure is himself shadowlike, his isolation intensified by the cool fjord landscape. In contrast, the dark forms in the bottom right corner of the picture—half plant and half rock—intrude eerily into the pictorial space and in the direction of the walker, creating a menacing atmosphere.

Hintergrund

The collection of the Kunsthalle Mannheim also contains a painting by the great Scandinavian artist Edvard Munch: »View from Nordstrand«. The chosen subject focuses on the representation of nature, so that it is only at second glance that the work, created around 1900, demonstrates Munch’s masterly rendition of the human psyche. Painted in predominantly cold shades of blue, the landscape depicts a view from the mainland of the island world of the Norwegian artist’s homeland. From an elevated position, the viewer’s gaze is directed over a group of trees and the adjacent coastal promenade to the tranquil water surface of a fjord. In the top third of the picture, two islands near the coast interrupt the expanse of deep blue to turquoise sea. Through the reflection of the outlines, their mountainous forms appear double. Within the natural setting, recorded with rapid brushstrokes, the male figure at the bottom left appears extremely small, accompanied only by his elongated shadow on the brightly lit coastal road.

Munch found his model for the painting, originally titled »Wolf Island Seen from Nordstrand« and later also known as »Summer Night on the Oslofjord«, in Nordstrand, south of Kristiania, the present-day Oslo. The artist lived for short periods on a number of occasions between 1893 and 1900 in the small seaside village. Numerous landscapes from the immediate vicinity of the fishing village, which nowadays has long been part of the Norwegian capital, reveal the artist’s intensive study of the untamed beauty of Scandinavia. In all these representations of nature around Nordstrand, Munch never intended to create a realistic reproduction of what he had seen. The scenery, which is committed to canvas by means of a few patches of colour, was intended to be seen primarily as a conveyer of moods and feelings, which the artist experienced directly while painting the picture. Against this background, it seems logical to equate the lonely rambler with the artist himself. For this, however, there is no reliable proof – nor is it possible to confirm the interpretation of the larger island as the closed lips of a female mouth.

Creditline

Kunsthalle Mannheim

Inhalt und Themen
Landschaft
Melancholie
Einsamkeit
Sommer
Norwegen
Strand
Schatten
bedrohlich
düster
Nacht
Einzelfigur
gehend
Weite
Expressionismus
formale Reduktion
polychrom polychromatic
Blau
Grün
Audio file

Ein neongrün leuchtender Himmel. Aus dem blaugrünen Wasser ragen zwei braune Inseln mit rosa Stränden. Violett bis schwarz spiegelt die vordere sich im Wasser. Über das untere Drittel der Leinwand zieht sich eine hell lachrosafarbene Uferstraße, auf der eine einsame Gestalt Richtung Wasser geht. Schwarze Baumkronen oder Klippenformationen werfen weißlich durchzogene, violette Schatten. Es scheint, als griffen sie nach dem Spaziergänger. Eine eigenartige Stimmung herrscht in dieser „Aussicht von Nordstrand“, die Edvard Munch 1900 bis 1901 festhält. Ist es Mittag? Herrscht Abenddämmerung? Weder noch: Der knapp 40-jährige Norweger, der auf dem Sprung zu internationaler Anerkennung ist, bringt die Lichtverhältnisse einer nordischen Sommernacht in fließenden Farbflächen auf seine 71,5 mal 100 cm große Leinwand. Die Szene wirkt irreal bis bedrohlich. Durch ihre Spiegelung im Wasser lässt der Künstler die Inseln schweben. Eine halluzinatorische Grundstimmung stellt sich ein. Die vordere Insel gemahnt an ein Lippenpaar: Ist die Landschaft Folie für die erotisch aufgeladene Gefühlslage ihres Erschaffers? Munch selbst deutet seine Landschaften als Resonanzräume psychischer Vorgänge: „Ich kann mein Werk nicht eher vollenden, bis ich die Vision in Armlänge bekomme, so dass die Erinnerung meine Eindrücke konzentriert ¬– Natur verwirrt mich eher, wenn ich ihr direkt gegenüberstehe.“ Diese Verwirrung überträgt der Künstler in „Utsik fra Nordstrand“ auf Sie als Betrachter: Er lässt die Horizontlinie weg, was Ihnen die optische Orientierung im Bild verunmöglicht. Die Spiegellinie der Insel verwischt er. Es schafft bizarre Tiefenverhältnisse: Farbräumlich liegt das helle Grün des Himmels näher als das tiefe Blau des Wassers. Es tendiert nach vorn und verursacht so eine Art Krümmung des Bildraumes. Der Hintergrund des Bildes wirkt dadurch instabil, was Empfindungen von Unsicherheit und Unbehagen auslösen kann.

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