Ein Beitrag von Anja Heitzer

Worte der Liebe und der Dankbarkeit, der Ablehnung und der Reue – seit Beginn der Ausstellung „MUTTER!“ füllt sich das Atrium der Kunsthalle mit einer nicht enden wollenden Zettelflut. Die Installation „My Mommy Is Beautiful“ der Künstlerin Yoko Ono lädt die Besucher*innen dazu ein, ihren Müttern eine Botschaft zu hinterlassen.

Das 2004 initiierte Kunstprojekt war ursprünglich als Hilfsaktion für japanische Erdbebenopfer gedacht und wurde seither in verschiedenen Museen weltweit realisiert. Yoko Onos künstlerische Praxis basiert oftmals auf poetischen, humorvollen oder provokativen Anweisungen, die das Publikum zum Nachdenken und Handeln anregen sollen. Ihre konzeptuellen Performances und textbasierten Arbeiten untersuchen die Beziehung zwischen der Kunst und den Betrachter*innen. Bereits in den 1960er-Jahren trug die Musikerin, Künstlerin und Aktivistin mit ihren Werken maßgeblich zur Entwicklung der Fluxus-Bewegung und der Konzeptkunst bei.

In der Kunsthalle begann ihre Arbeit „My Mommy Is Beautiful“ mit einer Reihe leerer, weißer Leinwände und der Aufforderung an die Besucher*innen, diese mit Nachrichten an ihre Mutter zu füllen. Mittlerweile verbergen mehrere tausend Zettel die Leinwände unter sich und breiten sich immer weiter im Atrium aus. Von weitem ist nicht viel mehr als ein weiß rauschendes Blättermeer erkennbar. Doch beim genaueren Hinsehen verraten die Papierstücke ihre intimen, berührenden, lustigen oder vorwurfsvollen Botschaften.

Jede Nachricht erzählt ihre eigene Geschichte und hat ihre eigene Ästhetik. Krakelige Kinderzeichnungen hängen neben mit Herzchen gespickten Liebesbekundungen und langen, in feinster Schreibschrift verfassten Briefen. Dieses Stimmengewirr erzählt in den unterschiedlichsten Sprachen und Schriftzeichen von Verzweiflung, Bedauern und immer wieder von der Reue, nicht alles gesagt zu haben. Winzige Anekdoten geben dabei Einblick in ein ganzes Leben und erzählen von alltäglichen und zugleich tiefgreifenden Erlebnissen. Man erfährt von starken Müttern, die für ihre biologischen oder selbst gewählten Kinder Fürsorge tragen, von Familienmitgliedern, die um den Verlust von Verwandten trauern oder von enttäuschten Kindern, die sich mehr Nähe gewünscht hätten.
Die Installation mit ihren sich ständig überlagernden Botschaften verbindet die Intimität und Haptik der traditionellen Briefform mit der Schnelllebigkeit und Anonymität der sozialen Netzwerke. Online sind knappe Botschaften schnell verschickt, im realen Raum des Museums, vor dem weißen Blatt Papier, hält man plötzlich inne. Auf vielen Papierstücken stehen Botschaften, die wohl nie laut ausgesprochen worden wären. Sie sind zutiefst persönlich, intim und schonungslos.

Noch bevor man die eigentliche Ausstellung betritt, erlebt man hier das gesamte emotionale Spektrum der Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern: große Freude und Liebe, aber auch Schmerz und Leid, Unverständnis und Scham. Die Komplexität der Beziehung fügt sich Zettel für Zettel zu einem vielschichtigen Puzzle zusammen.

Noch bis 6. Februar können Besucher*innen Yoko Onos Einladung folgen und der stetig wachsenden Installation selbst ein Puzzlestück hinzufügen.  

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