Interview mit Kurator Dr. Thomas Köllhofer

Zuletzt konnten Besucherinnen und Besucher der Kunsthalle Mannheim die Graphikausstellung „Monika Grzymala & Katharina Hinsberg. Zwischen einer Linie“ bewundern. Die Ausstellung bezauberte durch ihre große Kraft und ihre gleichzeitig elegante Fragilität. Kurator Dr. Thomas Köllhofer leitet seit dem Jahr 2000 die Graphische Sammlung der Kunsthalle Mannheim. Im Interview erzählt er uns von seinem beruflichen Werdegang und seiner letzten Ausstellung in der Kunsthalle.

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Abb. 1: Monika Grzymala, Raumzeichnung (Zwischen einer Linie), 2024
Installationsansicht, Kunsthalle Mannheim 2024 © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Kunsthalle Mannheim, Katrin Schwab

Sarah Nora Kouider Aribi: Thomas, wie bist du eigentlich Kurator geworden?

Dr. Thomas Köllhofer: Also, studiert habe ich Kunstgeschichte, Romanistik, in dem Fall Spanisch, und Ethnologie. Nach meiner Promovierung habe ich dann ein Jahr lang an der Universität in Freiburg assistiert, bis ich 1996 an die Kunsthalle Mannheim kam. Hier war ich 4 Jahre lang Volontär, habe mich dann auf die freie Stelle in der Graphiksammlung beworben und so wurde ich Kurator und Leiter eben dieser.

SK: Also hattest du damals schon eine Neigung zur Kultur. Woher kam das Interesse an der zeitgenössischen Kunst?

TK: Selbst bin ich in einer sehr kunstinteressierten Familie aufgewachsen. In der Schule hatte ich dann einen Lehrer, der uns nahegebracht hat, was es heißt, zeitgenössische Kunst zu schaffen. Also, dass es nicht nur darum geht, bloß ein schönes Bild zu malen, sondern, dass auch eine Idee dahinter ist. Die Gespräche mit diesem Lehrer waren für mich sehr prägend. Wobei ich sagen muss, ursprünglich wollte ich ja Schauspieler werden.

SK: Und wieso hast du dich dagegen entschieden?

TK: Ich hatte mich mal an einer Schauspielschule in Hamburg beworben. Die sagten mir dann aber, mit meiner süddeutschen Phonetik, würde die Karriere eher schwierig werden. So habe ich dann versucht auf einem anderen Weg ins Theater zu kommen und zwei Semester Theaterwissenschaften in Berlin studiert, aber ganz schnell gemerkt: Das ist doch nichts für mich.

SK: Jetzt bist du Kurator der graphischen Sammlung in der Mannheimer Kunsthalle. 
Welche Ausstellungen haben dir denn bis jetzt am meisten Spaß gemacht?

TK: Es sind schon die Ausstellungen die besonders anspruchsvoll sind in der Produktion, die auch tolle Endergebnisse hatten. Joachim Fleischer zum Beispiel, das war eine Ausstellung mit Licht, bei der Besucher*innen zum Teil auch mehrere Stunden blieben. 
Und die Ausstellung mit Grzymala und Hinsberg war für mich eine absolute Wunschausstellung, und ist jetzt auch meine letzte. Das sind diese zeitgenössischen Ausstellungen, die für mich sehr beglückend waren, weil man da an einer ganz lebendigen Entwicklung von Kunst dran ist.

SK: Du sagst, die Ausstellung mit Monika Grzymala und Katharina Hinsberg sei eine Wunschausstellung gewesen. Woher kam die Idee zu der Ausstellung mit den beiden Künstlerinnen?

TK: Ich hatte vor vielen Jahren schon vor, eine Ausstellung zum Thema Raumzeichnungen zu machen, weil das für mich in dieses Haus, in dem Bildhauerei und Dreidimensionales so eine große Rolle spielen, einfach reingehört. Sprich, wenn es Zeichnungen gibt, die außerhalb des Papiers existieren, die sich als Zeichnungen im dreidimensionalen Raum entwickeln, dann muss man sie hier zeigen. 
Katharina Hinsberg und Monika Grzymala hatten mich schon immer begeistert, weil sie sich auf eine sehr, sehr intensive Art und Weise mit dem Thema der Zeichnung und der Linie  -  immer auch im Bezug zum Dreidimensionalen - auseinandersetzen. Die beiden zusammenzubringen, die mit diesem Konsens doch so gegensätzlich arbeiten, fand ich wirklich toll.

SK: Wie kam es bei so unterschiedlichen Künstlerinnen zur Titelfindung? Im Englischen heißt die Ausstellung ja „Between One Line“, was das „einer“ in „Zwischen einer Linie“ zur Nummerierung anstelle eines unbestimmten Artikels macht. Das finde ich sehr interessant.

TK: Das war auch ein sehr interessantes Gespräch. Ich hatte bei der Ideenfindung etwas mit „Zwiegespräch“ im Kopf, was allerdings eine Zweiteilung angedeutet hätte. Katharina Hinsberg sagte dann, sie finde das Wort „Zwischen“ ganz schön, da es einen Raum schafft. 
Der Vorschlag zu „Zwischen einer Linie“ kam dann mit Referenz auf die Geschichte von Apelles und Protogenes. Was diese Geschichte klarmacht, ist, dass es kaum etwas gibt, das nicht teilbar wäre. Auch der Punkt ist in irgendeiner Form teilbar. Und natürlich entsteht durch das Wort „Zwischen“ automatisch die Vorstellung eines Raumes. 

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rote, von der Decke hängende Kugeln aus Knete vor einer, im Raum schwebenden, Wolke aus Papierstreifen

Abb. 2: Monika Grzymala: Installationsansicht „Kinesphere“, 2020-2024 und Katharina Hinsberg Installationsansicht „Linie im Raum“, 2024, Kunsthalle Mannheim 2024 © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Kunsthalle Mannheim, Katrin Schwab

SK: Das macht die Ausstellung so besonders. Mit dem Verlassen des Papiers und der Arbeit in den Raum hinein unterscheidet sich „Zwischen einer Linie“ von anderen Graphikausstellungen, wenn man Graphik im Sinne von „Linie auf einem Blatt“ denkt. Wie würdest du den Begriff der Graphik definieren und inwiefern fällt die Ausstellung in diese Definition hinein, oder aus ihr heraus?

TK: Graphik im üblichen Sinne ist ja immer Druckgraphik. Und Drucke gibt es hier nur wenige. Aber bei Graphik im Sinne von Zeichnung sind wir schon näher dran. Auch wenn jemand mit dem Finger eine Linie im Sand zieht, ist das eine Zeichnung. Auch die Spur, die das Flugzeug in der Luft hinterlässt, ist eine gezeichnete Linie. Und damit ist man gleich viel mehr im dreidimensionalen Bereich. Somit ist die Ausstellung ein Versuch, den Begriff der „Zeichnung“ weiter zu denken und zu sagen: Zeichnung ist die Verbildlichung menschlichen Tuns. Das Festhalten einer Bewegung von A nach B.

SK: Also hat die Ausstellung auch etwas Kinetisches an sich?

TK: Ja. Bei Grzymala heißt das für mich vor allem, dass sich die Energie und die Bewegungsabläufe in dem Werk sichtbar und nachvollziehbar widerspiegeln. Sie selbst nennt ihr Werk in dem letzten Raum ja auch „Kinesphere“ (Abb. 2), nach dem Theorem von Rudolf von Laban. Und bei Hinsberg erfährt man die Linie eigentlich erst, wenn man sich selbst im Raum bewegt. Dadurch entsteht eine Notwendigkeit des selbstaktiven Schauens.

SK: Und gibt es etwas, das du den Besucher*innen durch diese Ausstellung mitgeben möchtest?

TK: Was mir oft begegnet, ist, dass Besucher*innen häufig nicht viel mit zeitgenössischer Kunst anfangen können. Aber was die Ausstellung vermittelt, ist eine große Freude am Schauen und eine Leichtigkeit, die dieses Hinterfragen, dieses „Warum?“, „Was soll das?“, erst mal ausblenden lässt. Auch wenn es intellektuell absolut tiefgreifend ist, überwältigt erst einmal einfach das Verblüfft-Sein, wenn man sich in den von Grzymala und Hinsberg bespielten Räumen bewegt. Also, zu zeigen: Das kann auch richtig Spaß machen, die zeitgenössischen Zeichnungen. Und wenn ich dann noch vermitteln kann, dass diese schönen Werke eine große theoretische Tiefe Besitzen, dann habe ich viel erreicht.


Dieses Interview führte Sarah Nora Kouider Aribi (FSJlerin Presse- & Öffentlichkeitsarbeit) mit Dr. Thomas Köllhofer (Leiter und Kurator Graphische Sammlung) im Rahmen der Ausstellung „Monika Grzymala & Katharina Hinsberg. Zwischen einer Linie“ (26. April bis 25. August 2024).

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