LIEBE, ALLTAG, AKROBATEN. Graphik um 1900
Als Ergänzung und Erweiterung der Sonderausstellung „Inspiration Matisse“ präsentiert die Ausstellung Originale und Druckgraphiken aus der Mannheimer Sammlung, die weitgehend um 1900 entstanden sind. Dazu gehören Blätter von Henri Matisse, Maurice Denis, Henri de Toulouse-Lautrec, Émile Bernard, Pierre Bonnard, Édouard Vuillard und Georges Rouault.
Gemeinsam suchen die Künstler nach Inspiration und stilistischer Innovation. In der Rezeption steht das graphische Schaffen der Avantgarde oft im Schatten der zeitgleichen Malerei. Dabei begünstigt vor allem die beliebte Technik der Farblithografie das Experimentierfeld für neue Gestaltungsprinzipien und farbliche Variationen. Während der Blütezeit der „l’Estampe Originale“ erfahren Drucke Anerkennung als autonome Kunstwerke. Im Gegensatz zu Gemälden ist Graphik erschwinglich und leicht verfügbar-, und sie entspricht darüber hinaus dem Zeitgeist von Spontaneität und einer persönlichen Handschrift. Reine Graphikgalerien handeln Unikate und Editionen bald als begehrte „Kunst für Eingeweihte“.
Die Künstler sind parallel oder zeitversetzt Mitglieder diverser Gruppierungen innerhalb der der Schule in Pont-Aven, der Nabis oder der Fauves. Zusammen wenden sie sich von der unmittelbaren Sehübersetzung der Impressionisten ab. Vorbilder sind vor allem Paul Cézanne sowie der japanische Holzschnitt.
LIEBE
Maurice Denis verbildlicht im gleichnamigen Zyklus „Amour“ (1892-1899) seine Auffassung einer Nabi-Ästhetik unter dem Leitmotiv „Liebe“. Der selbstgewählte Name ist Programm und wird abgeleitet vom hebräischen Wort „Nabiis“,–„Propheten“ oder „Erleuchtete“. Zwischen 1890 bis 1900 finden sich in dieser Gruppe junge Künstler, Musiker, Dichter und Theaterleute zusammen, um ihre Vorstellungen einer Erneuerung der bildenden Künste zu verwirklichen. Der Bildgegenstand soll sich der Fläche und Farbe unterordnen. Unter diesem Motto bereichern zwei Tänzerinnen von Matisse und Graphiken von Bonnard und Toulouse-Lautrec die Ausstellung.
ALLTAG
Émile Bernard ist am ehesten von der Gauguin’schen Vorstellung eines vermeintlich unberührten, authentischen Lebens geprägt. Als Mitglied der Schule von Pont-Aven entwickelt er eine Vorliebe für ländliche, bretonische Szenen. Ausgestellt werden sieben handkolorierte Zinkographien der Serie „Bretonneries“ (1889). Im Gegensatz dazu finden die Nabis Pierre Bonnard und Édouard Vuillard ihre Inspiration in Paris. In der Tradition der Flaneurs beobachten sie das Großstadtleben: Modische Damen, Dandys, Kinder, turbulente Straßenszenen und-, ornamentreiche Interieurs verdeutlichen die Vibration der Metropole des Fin de Siècle.
AKROBATEN
Seit der Jahrhundertwende steht für die Fauves die Befreiung der Farbe an erster Stelle. Die Blätter der Serie „Cirque de Suares“ (1930) von Georges Rouault stehen einer fauvistischen Farbgebung nahe, in welcher er die geheimnisvolle Zirkusatmosphäre behandelt. Als gesellschaftliche Randgruppe leben Schausteller entgegen allen Konventionen. Soziale Gegensätze werden im Spektakel der Manege aufgehoben, um der Monotonie des Alltags für einen Moment zu entfliehen. Rouault interessiert die nachdenkliche Seite der Akrobaten und Clowns. Er stellt sie nicht während des Auftritts, sondern bewegungslos dar, um die Fatalität der lebenslangen Unterhaltsamkeit, des ewigen Spaßmachens, zu unterstreichen.
Kurator: Dr. Thomas Köllhofer
Kuratorische Assistenz: Jennifer Meiser, M.A.