© Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2018
(

Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas

)

Auguste Forel

1910

Oskar Kokoschka

(1886-1980)

Material / Technik
Ölfarbe
textiler Bildträger
Kategorie des Exponats
Malerei
Gattung
Porträtmalerei
Beschriftung / Signatur
Signatur: unten rechts "OK"
Erwerbungsjahr
1913
Maße
70,00 cm x 58,00 cm
Standort

Jugendstil-Bau > Ebene 1 > Galerie 16

Einstieg

Oskar Kokoschkas Porträt des Schweizer Psychiaters und Ameisenforschers Auguste Forel (1848–1931) zählt zu den Höhepunkten seines Frühwerks. Kokoschka – 24 Jahre alt und in Wien als junges Ausnahmetalent gefeiert – schuf es 1910 am Genfer See. Gegen die Idealisierung der menschlichen Figur im Wiener Jugendstil setzt er eine entkörperlichte Vergeistigung. Die räumliche Situation des Bildes bleibt vage, Kokoschkas Farbauftrag so dünn, dass die grobe Struktur der Leinwand fast überall zu sehen ist.

Ganz auf das Gesicht und die Hände seines Modells konzentriert, betont er in diesen Partien den individuellen Charakter Forels. Darüber hinaus ritzt Kokoschka mit dem Pinselstiel wiederholt Schraffuren in sein Bild und gibt ihm damit eine graphische Dimension. Die Augen Forels wiederum werden zum Zentrum des Porträts. Konzentriert sind sie nach innen gerichtet und deuten – wie seine Hände und sein Gesicht – auf die geistige Welt eines Menschen, der abwesend und anwesend zugleich zu sein scheint.

Hintergrund

Die Fähigkeit, Menschen wie mit Röntgenaugen zu porträtieren, machte den jungen Oskar Kokoschka im Wien der 1910er Jahre fast über Nacht berühmt. Wie die nur kurz zuvor erfundene Radiologie plötzlich Knochen und Organe Lebender sichtbar machen konnte, wollte der expressionistische Maler Wesen und Seele der von ihm Abgebildeten wiedergeben.

In starkem Gegensatz zur Idealisierung der menschlichen Figur, die fast zeitgleich im Jugendstil üblich war, betonen Kokoschkas frühe Bildnisse gerade die Makel und Schwächen der von ihm Porträtierten. Denn nicht die vordergründige Schönheit, sondern Haltung, Charakter und sich anbahnende Veränderungen seiner Modelle standen im Fokus des österreichischen Künstlers.

Dieser auf die Seele der Dargestellten zielende Blick lässt sich innerhalb der frühen Bildnisse Kokoschkas mit am eindrücklichsten an dem Mannheimer Gemälde »Auguste Forel« ablesen. Gerade dieses Werk zeigt, wie schonungslos und neuartig die Porträts des Österreichers für die damalige Zeit waren. Denn weder über das gesellschaftliche Ansehen noch über die äußere Erscheinung des berühmten Schweizer Psychiaters und Ameisenforschers Auguste Forel (1848–1931) gibt die Darstellung nähere Auskunft.

Einzig Gesicht und Hände des damals 62-Jährigen interessierten den Künstler und wurden von ihm als Spiegel der Persönlichkeit ausgearbeitet. Der starre, in sich gekehrte Blick und die krampfhafte Handhaltung lassen sich aber auch als Vorboten eines Schlaganfalls deuten, den Forel zwei Jahre später erlitt. Die Gabe, zukünftige Veränderungen der von ihm Porträtierten im Bild vorwegzunehmen, hatte für Kokoschka in diesem Fall allerdings negative Folgen: Der Professor lehnte den Kauf des Porträts gerade mit dem Hinweis ab, auf dem Gemälde wie nach einem Schlaganfall auszusehen.

Einstieg

Oskar Kokoschka’s portrait of the Swiss psychiatrist and ant researcher Auguste Forel (1848–1931) is one of the highlights of his early creative period. Kokoschka—24 years old at the time and celebrated in Vienna as an exceptional young talent—painted it in 1910 at Lake Geneva. In contrast to the idealization of the human figure found in Viennese Jugendstil, he celebrates a disembodied spiritualization. The picture’s spatial situation remains vague and the paint has been applied so thinly that the coarse structure of the canvas is visible almost everywhere.

Completely concentrated on his model’s face and hands, Kokoschka emphasizes Forel’s individual character in these sections, while the hatching repeatedly scratched into the picture with the brush handle lends it a graphic dimension. However, it is Forel’s eyes that form the center of the portrait. With their concentrated gaze directed inward, they evoke—like his hands and face—the spiritual world of an individual who appears to be simultaneously absent and present.

Hintergrund

The young Oskar Kokoschka became famous virtually overnight in Vienna during the 1910s for his ability to portray people as if with X-ray eyes. Just as radiology, which had been invented a short while before, suddenly made the bones and organs of living people visible, so the Expressionist painter aimed to record the being and the soul of the people he portrayed.

In stark contrast to the idealisation of the human figure, which was customary in Art Nouveau at virtually the same time, Kokoschka’s early portraits emphasise more than anything else the imperfections and weaknesses of the people he painted. The Austrian artist focused not on the superficial beauty of his models, but rather on their attitude, character and incipient changes.

Among Kokoschka’s early portraits, one of the most impressive examples of this way of seeing, directed towards the soul of the person he painted, can be seen in the Mannheim painting »Auguste Forel«. This work in particular shows how merciless and novel the Austrian artist’s portraits were at the time. The portrait fails to provide additional information about either the social standing or the external appearance of the famous Swiss psychiatrist and myrmecologist Auguste Forel (1848–1931).

The artist was only interested in the scientist’s face and hands, which he developed as a mirror of his subject’s personality. Forel was 62 years old at the time, and the frozen, withdrawn gaze and the convulsive pose of the hands can also be interpreted as heralds of the stroke, which Forel suffered two years later. In this case, however, the gift of anticipating future changes to the subject in his pictures had negative consequences for Kokoschka: The professor refused to purchase the portrait, ironically commenting that it made him look as though he had suffered a stroke.

Creditline

Kunsthalle Mannheim

Inhalt und Themen
Porträt
Halbprofil
alter Mann
Hand
Alter
Kontemplation
Reflexion (geistig)
Einzelfigur
Bart
Wissenschaft
polychrom polychromatic
Ruhe
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