Gemeinfrei
(

Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas

)

Gelbes Engelufer, Berlin

Yellow Engelufer, Berlin
1909 - 1910
Material / Technik
Ölfarbe
textiler Bildträger
Kategorie des Exponats
Malerei
Gattung
Landschaftsmalerei
Beschriftung / Signatur
Signatur: ohne
Erwerbungsjahr
1950
Maße
71,50 cm x 80,50 cm
Standort

Jugendstil-Bau > Ebene 1 > Galerie 14

Einstieg

Ernst Ludwig Kirchner stellt in diesem Gemälde das Engelufer in Berlin dar. Von einem erhöhten Standpunkt aus blicken wir auf den Luisenkanal und können rechts im Hintergrund die beiden Türme der Melanchthonkirche erkennen (im Zweiten Weltkrieg zerstört).

1913 lebt Kirchner seit zwei Jahren in Berlin. Zwar entstanden schon in seiner Dresdener Zeit zahlreiche Stadtansichten, aber erst in Berlin werden seine Großstadtszenen zum Höhepunkt seines expressionistischen Werks. Dabei zeigt der Brücke-Künstler selten Sehenswürdigkeiten. Es geht ihm weder um eine topographisch genaue Wiedergabe Berlins noch um städtische Symbole.

Ganz konzentriert auf Farbwirkung und Kontur vereinfacht er die Formen der Metropole. Dabei löst er die Farbe völlig vom Gegenstand und stellt sein subjektives Erleben aus. Nervosität, Schroffheit, Vereinzelung und großstädtische Kälte werden spürbar – nicht das Spektakuläre, sondern die Spannungen der Alltagswelt sind hier interessant. Kirchners zwischen 1913 und 1915 entstandene Berliner Straßenszenen sind bis heutige gültige Symbole des modernen Großstadtlebens am Beginn des 20. Jahrhunderts.

Einstieg

In this painting, Ernst Ludwig Kirchner depicts the Engelufer riverbank in Berlin. From an elevated position, we look down on the Luisenstadt Canal, with the two towers of the Melanchthon Church (destroyed in World War II) visible in the background to the right.

In 1913 Kirchner had been living in Berlin for two years. Although he had already painted numerous cityscapes in his Dresden period, it was his Berlin metropolitan scenes that formed the culmination of his Expressionist work. The Brücke artist rarely depicted landmarks, being neither interested in a topographically precise rendition of Berlin nor in urban symbols.

With his concentration on the effect of color and contour, he simplifies the metropolis’s forms, completely liberating color from the object and presenting his subjective experience. Nervousness, abrasiveness, isolation, and urban anonymity are palpable—what is of interest here is not the spectacular but the tensions of everyday life. To this day, Kirchner’s Berlin street scenes, painted between 1913 and 1915, remain valid symbols of city life at the beginning of the 20th century.

Creditline

Kunsthalle Mannheim

Inhalt und Themen
Berlin
Gelb
Großstadt
Bäume
Fluss
Brücke
Menge
Freizeit und Unterhaltung
Wohnhaus
Expressionismus
Figurengruppe
Blau
polychrom polychromatic
bewegt (Gestik / Oberfläche)
Platz
Multimedia
Audio file

Grün-gelbe Kanalmauern, eine orange-gelbe Promenade, ockergelbe Häuser, ein gelblich getünchter Himmel: Die namensgebende Farbe beherrscht Ernst Ludwig Kirchners Gemälde „Gelbes Engelufer“. Umso lebendiger wirkt das Blau des Kanals am rechten Bildrand. Auf der zum Platz ausgeweiteten Uferpromenade bilden fächerartige, schmutzig blau konturierte Baumstrukturen eine nach hinten gestaffelte Linie. Der in Chemnitz aufgewachsene Maler und Grafiker Kirchner lässt sie im Bildhintergrund auf eine weitere Linie ebenfalls blau konturierter Bäume treffen: Ein Fluchtpunkt entsteht. Auf ihn streben auch die tomaten- bis blassrot angelegten Uferwege hin. Spüren Sie den Sog, der dadurch entsteht? Das „schmutzige Kolorit“ ist kennzeichnend für die Atmosphäre der Stadt- und Straßenbilder, die Kirchner zwischen 1911 und 1915 malt. Die Menschen? Er deutet sie nur an. Kirchner zeigt die Metropole als „steinernes Meer“ – ein Begriff, den der Mitbegründer der Künstlervereinigung „Brücke“ für seine expressionistischen Stadtansichten prägt. In ihnen geraten ihm Straßen und Bauwerke zu fast abstrakten, menschenbeherrschenden Strukturen. Durch den kalligraphischen Einsatz schwarzer Pinselstriche bringt er einen Erregungszustand ins Bild – kennzeichnend für den Expressionismus, der sich dem inneren Erleben zuwendet, seelischen Abgründen und nervösen Bewusstseinszuständen Ausdruck verleiht. Geradezu gegensätzlich mutet das unvollendete Gemälde auf der Rückseite der Leinwand an: Es zeigt einen Orientalen in weißem Gewand mit rotem Fes. Hier rückt Kirchner dem Menschen ganz nah auf den Leib und schafft eine intime Atmosphäre. Der „Marokkaner“, wie das Bild seit 2010 betitelt ist, sitzt auf einem Hocker, tief versunken in sein Tun. Schält oder entkernt er eine Frucht? Kirchner hat die Figur orangefarben konturiert, grüne, blaue und rosa Farbspuren werfen Schatten und Falten auf dem hellen Gewand. Den Hintergrund bildet ein Wandbehang mit orangefarben ummalten rosa Flecken auf hellgrün-gelbem Fond. Die Malschicht ist dünn, vielfach können Sie die Grundierung sehen. Man geht davon aus, das Kirchner den „Marokkaner“ in Dresden gemalt und aufgerollt nach Berlin transportiert hat, wohin er im Oktober 1911 zieht. „Gelbes Engelufer“ entsteht auf der Rückseite des Marokkaners. Leinwände beidseitig zu bemalen, zählt zu Kirchners Eigenheiten, die er 1917 mit finanziellen Engpässen begründet: "Auch ich muss etwas sparen jetzt, und das Material ist sehr kostspielig geworden. Aber die Leinwand hat Gott sei Dank zwei Seiten."

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