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Kunsthalle Mannheim und Nationaltheater Mannheim kooperieren 2022 in interaktivem Ausstellungsprojekt URBAN NATURE – Rimini Protokoll

In der Kunsthalle verwandelt sich der Ausstellungsraum im Juli 2022 in eine begehbare Installation. Teils mit Tablets und Kopfhörern ausgestattet, bewegen sich die Besucher*innen durch Szenarien einer Großstadt und schlüpfen in die Rolle unterschiedlicher Protagonist*innen. URBAN NATURE heißt die neuste Produktion des Autoren-Regie-Teams Rimini Protokoll, das international Ausstellungs- und Theaterprojekte realisiert. 2022 setzt die Kunsthalle Mannheim das multimediale und interaktive Ausstellungsprojekt in Kooperation mit dem Nationaltheater Mannheim um.

URBAN NATURE beschäftigt sich mit der Transformation urbaner Räume aus verschiedenen ökonomischen Perspektiven. Die Stadt wird dabei zum Vergrößerungsglas für die Extreme der Gesellschaft. Das Publikum ist eingeladen, in die Lebenswelt von sieben realen Personen, „Expert*innen des Alltags“ einzutauchen, die den Blick auf ihre persönlichen Erfahrungen, Überlebensstrategien und Utopien öffnen. Alle acht Minuten wechselt man dabei die Perspektive und betrachtet die Stadtkulisse etwa aus den Augen einer Anlageberaterin, eines Gefängniswärters, eines Kindes oder einer jungen Frau, die auf der Straße gelebt hat. „Wir schaffen damit eine ganz neue Art der Besuchserfahrung, die es an der Kunsthalle so noch nicht gegeben hat.“, so Johan Holten, Direktor der Kunsthalle Mannheim. „Bei dieser Produktion von Rimini Protokoll gehen Ausstellung und Theater ineinander über. Für uns war schnell klar, dass das Nationaltheater hier der perfekte Partner ist. Ich freue mich sehr über die Zusammenarbeit“. Christian Holtzhauer: „Mit URBAN NATURE knüpft das Nationaltheater an die erfolgreiche Arbeitsbeziehung mit Rimini Protokoll an - erinnert sei nur an die legendäre Aufführung „Wallenstein“ von 2005. Zugleich rücken Kunsthalle und Nationaltheater noch enger zusammen, um mit vereinten Kräften eine außergewöhnliche künstlerische Arbeit über die sich rasant verändernden Lebensbedingungen im urbanen Raum nach Mannheim zu bringen, also in eine Stadt, die diesen Wandel besonders aktiv zu gestalten versucht.“

Das Kollektiv Rimini Protokoll wurde im Jahr 2000 von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel gegründet. Seit über 20 Jahren realisieren sie in verschiedenen Konstellationen international erfolgreiche Ausstellungs- und Theaterprojekte. Viele ihrer Arbeiten zeichnen sich durch einen spielerischen Umgang mit Technik aus. So griffen sie 2013 für das Projekt „Situation Rooms“ zum ersten Mal auf das interaktive Format der Video Walks zurück, um die Konflikte globalen Waffenhandel immersiv erfahrbar zu machen. Die Ausstellungsprojekte des Kollektivs waren bereits in zahlreichen Institutionen weltweit zu sehen, beispielsweise im Heidelberger Kunstverein, im Albertinum in Dresden, im Kunsthaus Zürich, an der Royal Academy of Arts London oder dem Brooklyn Museum New York. Mit dem Projekt URBAN NATURE setzt Rimini Protokoll seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Szenographen Dominic Huber fort.

URBAN NATURE ist eine Produktion von Centre de Cultura Contemporània de Barcelona – CCCB und Rimini Apparat. In Koproduktion mit Kunsthalle Mannheim, Nationaltheater Mannheim und Grec Festival de Barcelona. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, von der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien und durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa. In Zusammenarbeit mit Mediapro und Intitut del Teatre.

Hector Stiftungen und Kunsthalle Mannheim verleihen 2022 Kunstpreis an Anna Uddenberg

Alle drei Jahre vergibt die Kunsthalle Mannheim zusammen mit den Hector Stiftungen den Hectorpreis an internationale Künstler*innen oder Kollektive. Eine Jury aus sieben Kurator*innen wählte nun die Künstlerin Anna Uddenberg als Preisträgerin des Jahres 2022 aus. Mit der Auszeichnung ist ein Preisgeld in Höhe von 20.000 € verbunden sowie eine Einzelausstellung, die vom 20. Mai 2022 bis zum 08. Januar 2023 in der Kunsthalle Mannheim gezeigt wird. Die Preisverleihung findet im Rahmen der Eröffnung statt.

„Ich freue mich über die Entscheidung der Jury, mit Anna Uddenberg eine starke feministische Position auszuwählen, die mit ihrer künstlerischen Arbeit eine aufregende, anspruchsvolle und auch polarisierende Sicht auf Körperlichkeit, Geschlecht (oder Gender) und Warenästhetik präsentiert“, so Sebastian Baden, Kurator für zeitgenössische Kunst an der Kunsthalle Mannheim und Jurymitglied. Anna Uddenberg wurde 1982 in Stockholm geboren und lebt und arbeitet heute in Berlin. Sie begann ihr Kunststudium an der Städelschule in Frankfurt und wechselte dann an die Königliche Akademie der freien Künste in Stockholm, wo sie 2011 ihren Abschluss machte. Ihre Arbeiten wurden international in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt und sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, darunter dem Kiasma Museum in Helsinki, der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, dem Stedelijk Museum in Amsterdam und der K11 Foundation in Shanghai.

Der Hectorpreis wird seit 1997 im dreijährigen Rhythmus von der Kunsthalle Mannheim und den Hector Stiftungen vergeben. Gemäß des Skulpturenschwerpunkts der Mannheimer Sammlung, werden Werke ausgezeichnet, die dreidimensional angelegt sind, also aus dem Bereich der Bildhauerei, der Objektkunst oder der Rauminstallation. Zu den bisherigen Preisträgern gehörten Hiwa K, Alicja Kwade, Nairy Baghramian und Tobias Rehberger.

Die Jury für die Auswahl der Preisträgerin 2022 setzte sich aus Kurator*innen und Kunstexpert*innen aus ganz Deutschland zusammen: Dr. Sebastian Baden, Kurator zeitgenössische Kunst, Kunsthalle Mannheim, Fatima Hellberg, Direktorin, Bonner Kunstverein, Dr. Damian Lentini, Kurator, Haus der Kunst München, Suzana Leu, Kuratorin, Ludwig Museum Koblenz, Solvej Ovesen, Direktorin Galerie Wedding, Franciska Zólyom, Direktorin, Stiftung Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig und John Feldmann, Mitglied im Beirat der Hector Stiftungen.

Im Begleitprogramm zur Ausstellung MINDBOMBS waren im September die Journalistinnen Julie von Kessel und Sonja Zekri in der Kunsthalle zu Gast. Julie von Kessel war am 11. September 2001 als ZDF Reporterin am World Trade Center im Einsatz. 2020 veröffentlichte sie ihren Roman „Als der Himmel fiel“. Sonja Zekri ist seit 2020 Kulturkorrespondentin der Süddeutschen Zeitung. Sie hat mehrfach zur Frage „Was ist Terrorismus?“ über die Wirkung von politischer Gewalt und terroristischen Akten für gesellschaftliche Prozesse sowie über die Veränderungen des Feuilletons seit 9/11 geschrieben. Im Gespräch diskutierten sie gemeinsam mit Kommunikationswissenschaftler Dr. Stephan Weichert über die Live-Übertragung der Terroranschläge und die anschließende Rezeption.

 

Julia von Kessel, Auszug aus "Als der Himmel fiel"

Kyrill und Steve hockten auf dem Sofa unter dem „Go East“-Graffiti und rauchten, während sie immer wieder auf einen kleinen Fernseher starrten, den Lucius aufgetrieben und in die Ecke gestellt hatte. Seit Stunden liefen dieselben Bilder: Der Explosionspilz am Südturm, der Rauch, der aus den Kratern quoll, der Einsturz.

Neben ihnen saß eine ältere Frau mit kurzen, roten Haaren, einer Brille und feinen Gesichtszügen. Es war Rose, wie Franka von Lucius erfuhr, die Miniatur-Malerin aus Virginia, die eigentlich nur zufällig in der Stadt war und nun nicht mehr wusste, wie sie nach Hause kommen sollte. Auch Janos, der Hausmeister, war da, er war kurz vor zehn in der Galerie vorbei gekommen, um nach ihnen zu sehen, und geblieben. Seine Familie lebte in Polen, er hatte niemanden sonst in der Stadt. Auch er rauchte, nachdem er den Rauchmelder untauglich gemacht hatte, sah hin und wieder auf den Bildschirm und schüttelte den Kopf.

Keiner hörte richtig zu.

Kyrill sprang nervös auf. „We’re fucked.“ Er und Steve stiegen wieder die Treppe hinauf aufs Dach, um erneut die Realität mit der Fernseh-Wirklichkeit abzugleichen. Doch dort war weniger erkennbar als bei CNN, die Südspitze Manhattans war jetzt vollkommen eingehüllt in den gelblich-grauen Qualm, der über den Trümmern hing und den auch der Wind nicht wegzuwehen vermochte, er saß wie eine Glocke über der Insel.

Franka blieb unten. Nach dem Schock draußen hatte sie genug gesehen. Sie wollte erst einmal die Galerie nicht verlassen. Der Geruch hing ihr immer noch in der Nase, geschmolzenes Asbest, Kerosin, und dann etwas Süßliches, das sie sich nur als das verbrannte Menschenfleisch vorstellen konnte. Immer wieder wusch sie sich das Gesicht und putzte sich die Nase, doch sie wurde ihn nicht los. Vor dem Fenster liefen immer noch Menschen verwirrt über die Straße, verängstigt, entsetzt.

Franka zog die Jalousien zu.

Sie wusste nichts mit sich anzufangen. Das Telefon funktionierte nicht. Die Bilder waren nicht geliefert worden, und sie würden auch nicht mehr kommen. Man konnte die Stadt nur noch zu Fuß verlassen, sie waren abgeschnitten von der Welt. Im Fernsehen sprachen die Moderatoren darüber, wie groß die Flugzeuge waren, wie viel Kerosin in ihre Tanks passte, sie rechneten die Wucht des Aufpralls aus, der grafisch noch einmal verdeutlicht wurde.

 

Sonja Zekri zum Begriff "Terrorismus"

Der Terror hatte nicht immer einen schlechten Ruf. In der Französischen Revolution galt er dem Wohlfahrtsausschuss als nötig, um der Tugend zu ihrem Recht zu verhelfen und die Bürger zu schützen und, ja, auch die Demokratie. Lenin bekannte sich früh zum Terror als politischem Instrument. Der „Rote Terror“ sollte die Bourgeoisie als Klasse vernichten, die Gerichte sollten den Terror legitimieren. Die frisch gebackenen Sowjetmenschen reagierten mit kreativen neuen Mädchennamen: „Granata“ beispielsweise oder eben „Terrora“.

Heute nennt sich niemand mehr gern Terrorist. Terrorismus ist eine Zuschreibung von anderen, eines Staates, der Sicherheitsapparate, der Geheimdienste. Die kurdische PKK, die palästinensische Hamas, die libanesische Hisbollah mögen in den Dossiers des Westens Terrorgruppen sein. Für die Mehrzahl der Kurden, Palästinenser, Libanesen sind sie Widerstandskämpfer, die einem Staat entgegentreten, der Unrecht verübt.

„Terrorismus“ ist ein performativer Begriff. Die Beschreibung selbst ist eine Handlung, die gewaltige Dynamiken in Gang setzen kann. So dient er vielen Herren. Für Diktaturen ist „Terrorismus“ eine erprobte Rechtfertigung, um Bürgerrechte mit Füßen zu treten, für Demokratien eine ständige Versuchung. Kein Geheimdienst der Welt kann darauf verzichten, den Terrorismusbegriff möglichst weit und möglichst wolkig auszulegen.

20 Jahre nach dem 11. September gibt es schlechte Nachrichten für Dschihadisten. Sie haben ihr Ziel nicht erreicht, haben die verhassten westlichen Demokratien nicht in die Knie gezwungen, haben freie Gesellschaften nicht in den Aufstand gebombt. Welchen Schaden hingegen der Anti-„Terror“-Kampf angerichtet hat, zeigt sich erst nach und nach. Das Tabu der Folter wurde gebrochen, die Rechtsstaatlichkeit geschwächt, im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus wurden Länder wie Afghanistan angegriffen, die die westlichen Truppen im August 2021 hastig, kopflos, skrupellos wieder aufgaben.

Westeuropa, zumal Deutschland hat lange Jahre des Friedens hinter sich und in dieser Zeit die Sprache der Gewalt auf beneidenswerte Weise verlernt. Anschläge, Angriffe mit Messern, Autos, Bomben, selbst jene, die von den eigenen Staatsbürgern verübt wurden, werden oft mit den Kategorien des Unbegreiflichen beschrieben, als „unfassbar“ oder „krank“. Diese Trennung zwischen „Denen“ und „Uns“ tröstet über den Schock der Tat hinweg, über die Trauer und die Ohnmacht. Aber es ist ein trügerischer Trost. Denn die Trennung gibt es längst nicht mehr. Entsorgen wir den Begriff des „Terrorismus“ am besten einfach mit.

Ausstellung „Sofia Duchovny: Going Red“ ist ab Mittwoch, 1.12., ab 18 Uhr, im Studio der Kunsthalle Mannheim zu sehen

Sofia Duchovny ist die diesjährige Preisträgerin der Kunststiftung Rainer Wild. Mit der Auszeichnung ist eine Ausstellung im Studio der Kunsthalle Mannheim verbunden, die erstmals am Mittwoch, den 1. Dezember 2021, zwischen 18 und 22 Uhr, im Rahmen des MVV-Kunstabends präsentiert wird.

Sofia Duchovny arbeitet konzeptuell im Bereich Installation, mit skulpturalen und malerischen Arbeiten, sowie mit grafischen Interventionen im öffentlichen Raum. Im Studio, wo die Kunsthalle regelmäßig junge zeitgenössische Positionen präsentiert, sind ab Mittwochabend Malereien und Skulpturen der Künstlerin zu sehen. Duchovny nutzt in ihrem Schaffen flexible und leichte Materialien. Transparente Tüllstoffe und Glasfaserstäbe spannen in ihren Skulpturen bestickte Flächen auf. In Trailern, Postern und Performances inszeniert sie ihre eigene künstlerische Persona auf humorvolle und überspitzte Weise. Die Bildwelten, die sie entwirft, erinnern an Werbefotografie und Filmplakate. Auch in der Ausstellung in der Kunsthalle blickt das Gesicht der Künstlerin den Besucher*innen immer wieder unter verschiedenen Farb-Ebenen aus dem Hintergrund entgegen. Sofia Duchovny wurde 1988 in Moskau geboren, ist in Deutschland aufgewachsen und studierte Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Städelschule in Frankfurt am Main. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Die 2009 gegründete Kunststiftung Rainer Wild des Heidelberger Unternehmers, Stifters und Kunstsammlers Prof. Dr. Rainer Wild zeichnet mit dem 2015 ins Leben gerufenen Förderpreis bildende Künstler*innen aus ganz Deutschland unter 35 Jahren aus. Auf Wunsch der Stiftung wird der Preis seit 2020 in Mannheim verliehen. Mit der Auszeichnung ist ein Preisgeld von 5000 Euro verbunden, das der Künstlerin von der Kunststiftung Rainer Wild übergeben wird.

Als Fritz Wichert (1878–1951) 1909 zum ersten Direktor der Kunsthalle ernannt wurde, steuerte die Bewegung des Expressionismus gerade auf ihren Höhepunkt zu. Künstler*innen wie Franz Marc, Paula Modersohn-Becker oder August Macke versuchten in ihren Werken vor allem Emotionen zum Ausdruck zu bringen und dadurch auch die Betrachtenden innerlich zu bewegen. Wie sein Nachfolger Gustav Friedrich Hartlaub (1884–1963) setzte sich auch Wichert intensiv mit dieser vor allem in Deutschland und Frankreich blühenden Strömung auseinander. Er widmete ihr nicht nur zahlreiche Ausstellungen, sondern kaufte auch bedeutende expressionistische Werke für das Museum an. Dieser durch spätere Ankäufe noch erweiterte Sammlungsschwerpunkt bildet den Auftakt der neuen Sammlungspräsentation im westlichen Obergeschoss des Billing Baus. Mit wechselndem Fokus auf die Gattungen Malerei und Skulptur werden in den beiden ersten Ausstellungsräumen Vorläufer*innen wie Hauptvertreter*innen dieser Kunstrichtung präsentiert, darunter etwa Edvard Munchs Utsikt fra Nordstrand (Aussicht von Nordstrand), Franz Marcs Drei Tiere (Hund, Fuchs und Katze) oder Milly Stegers Frauenbildnis.
Vor allem Hartlaub hatte aber auch die fast gleichzeitig mit dem Expressionismus einsetzenden Entwicklungen hin zu einer abstrakten bis gegenstandslosen Kunst im Blick. Eine Art Zwischenbilanz dieser Tendenzen zog er gegen Ende der 1920er Jahre in der Ausstellung Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa. Werke damals gezeigter Künstler wie Robert Delaunay, Wassily Kandinsky oder Paul Klee bilden deshalb den Abschluss des kleinen Rundgangs vom Expressionismus bis hin zu abstrakten Positionen. Einem Meisterwerk des italienischen Futurismus ist schließlich ein weiterer Raum gewidmet: Umberto Boccionis 1913 entstandene Urformen der Bewegung im Raum können die Besucher*innen in einer Einzelpräsentation hautnah und aus unterschiedlichsten Position heraus betrachten.
Darüber hinaus bietet die neue Sammlungspräsentation aber auch Einblicke in die Provenienzforschung, die in den letzten Jahren an der Kunsthalle geleistet wurde. In den sog. Provenienzboxen, die einzelnen Gemälden und Skulpturen zugeordnet sind, finden sich aus den Recherchen gewonnene Erkenntnisse über die Herkunftsgeschichte des jeweiligen Werks.

Neue Sammlungspräsentation der Kunsthalle Mannheim im Jugendstilbau ab dem 12.11.2021Ab dem 12. November dürfen sich die Besucher*innen auf eine komplett neu kuratierte Sammlungspräsentation im Obergeschoss des Jugendstilbaus freuen. Diese widmet sich den Schwerpunkten der Sammlungsgeschichte der Kunsthalle seit ihrer Gründung 1909. In vier Räumen des Ostflügels werden Werke von der Neuen Sachlichkeit bis zu den Nouveaux Réalistes gezeigt. Im Westflügel präsentiert die Kunsthalle zur Mannheimer Sammlung gehörende Werke vom Expressionismus bis zur Abstraktion und beleuchtet zudem die Ergebnisse der Provenienzforschung.Die Sammlung der Kunsthalle Mannheim umfasst Werke verschiedener Epochen und Kunstrichtungen. So setzten sich die beiden ersten Museumsdirektoren Fritz Wichert und Gustav Friedrich Hartlaub intensiv mit dem Expressionismus auseinander. Die Ergebnisse dieser langjährigen Sammlungsarbeit präsentiert die Kunsthalle im Westflügel des Jugendstilbaus. Hier sind Werke vom Expressionismus bis zur Abstraktion zu sehen, unter anderem von Marc Chagall, Paul Klee, Willi Baumeister, Emil Nolde, Lovis Corinth, Wilhelm Lehmbruck, Umberto Boccioni, Robert Delaunay und László Moholy-Nagy. Vier Räume im Ostflügel zeigen ebenfalls prominente Werke von der Neuen Sachlichkeit bis zu den Nouveaux Réalistes. Ausgestellt werden Malereien, Skulpturen und Installationen von Künstler*innen wie Otto Dix, Max Beckmann, George Grosz, Daniel Spoerri, Niki de Saint Phalle, Pierre Soulages und Francis Bacon.Ergänzend zur neuen Sammlungspräsentation finden begleitende Themenführungen statt, so zu den Meistern des Expressionismus, Francis Bacon und Alberto Giacometti, den Nouveaux Réalistes oder über Poesie im Bild von Marc Chagall bis Paul Klee.Kurator*innen: Dr. Inge Herold und Dr. Matthias Listl Die Sammlung der Kunsthalle MannheimDie Kunsthalle Mannheim erlangte nach ihrer Gründung 1909 durch moderne Sammlungskonzepte eine Vorreiterrolle in der deutschen Museumsszene. Bereits 1910 erwarb Fritz Wichert (Amtszeit: 1909–1923) ihr berühmtestes Gemälde: Édouard Manets „Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“. Gustav Friedrich Hartlaub (Amtszeit: 1923–1933) prägte 1925 den Begriff der „Neuen Sachlichkeit“ und brachte die realistische Malerei der zu Ende gehenden 1920er-Jahre nach Mannheim. Nach dem Zweiten Weltkrieg legte die Kunsthalle ihren Schwerpunkt auf Skulpturen und entwickelte sich zu einem der wichtigsten Museen der klassischen Moderne und der zeitgenössischen Kunst. Aktuell umfasst die Sammlung rund 2.300 Gemälde, 860 Skulpturen und Installationen, 34.000 Grafiken und 800 Objekte der angewandten Kunst. Neben Meisterwerken der Malerei und Grafik von Max Beckmann bis Francis Bacon glänzt die Sammlung mit einem Skulpturenbestand von Auguste Rodin bis Thomas Hirschhorn.

Dr. Stephan Weichert im Gespräch mit Dr. Sebastian Baden, Kurator der Ausstellung „Mindbombs“Sebastian Baden: 9/11 ist zu einer historischen Chiffre für den 11. September 2001 geworden. Wie halten Sie persönlich die Anschläge in Ihrer Erinnerung?Stephan Weichert: Einige Fachkolleg:innen, aber auch meine Familie und Freunde erinnern mich um den 11. September herum jedes Jahr daran, weil sie wissen, dass ich zur Medienberichterstattung über 9/11 lange geforscht und promoviert habe und mich bis heute mit Krisen und öffentlicher Krisenkommunikation sowohl wissenschaftlich als inzwischen auch vorrangig in meiner praktischen Arbeit beschäftige. Und wie jedes Jahr schaue ich mir Sondersendungen und Dokumentationen an, lese Essays und Reportagen über die Folgen des 11. Septembers und recherchiere, was sich in der Medienwissenschaft in der Zwischenzeit zu diesem spannenden Themenkomplex getan hat. Häufig werde ich auch für Interviews und Diskussionen angefragt. Zu meinen persönlichen Ritualen gehört es, dass ich mich auch mit den künstlerischen Aufarbeitungen befasse. Inzwischen habe ich Kinder, die beide so alt sind, dass ich mir ihnen darüber spreche.Sie haben in ihrer Forschung eine Analyse der Anschläge und deren medialer Verbreitung vorgenommen. Woran liegt es, dass ausgerechnet die visuellen Eindrücke so nachhaltig sind und insbesondere der Angriff auf das World Trade Center als „ikonisch“ bewertet wird?Viele Kolleg:innen sprachen damals nicht umsonst von der "Ikonographie des Terrors": Die visuelle Wahrnehmung dieses Ereignisses war im vorhinein nahezu perfekt vorbereitet und gewissermaßen für die Medienwelt choreografiert worden. Schon alleine die in das World Trade Center steuernden und explodierenden Flugzeuge haben Bilder hervorgerufen, die zunächst wie aus einem Action-Film anmuten. Niemand konnte damals beim ersten Anblick glauben, dass diese Bilder authentisch sind. Erst nach den mehrmaligen Wiederholungen im Fernsehen, von denen es viele Endlosschleifen gab, hat das menschliche Gehirn realisiert, dass die Bilder echt sind. Und in diesem Moment waren sie für viele Menschen umso eindrucksvoller.  Die Bilder sind bis heute für alle, die sie damals live oder quasi-live gesehen haben, unvergesslich, weil sie in ihrer Darstellung eine Tragweite hatten, die für viele unbegreiflich war: zum einen im Hinblick auf die Grausamkeit der Tat selbst, aber zum anderen wegen der politischen Folgen, die diese Anschläge haben könnten und dann ja de facto hatten. Zum ikonischen Charakter der Bilder trägt ebenfalls bei, dass die Türme kurze Zeit später vollständig in sich zusammenstürzten und die gigantische Staubwolke eine Stadt mit tausenden Menschen in Manhattan unter sich begrub. Das hat bei den Zuschauer:innen eine Gänsehaut hervorgerufen und eine Hilflosigkeit, die in der westlichen Welt in dieser Generation zuvor bisher nicht bekannt war.Was bedeutet es historisch und kulturwissenschaftlich, dass der Begriff „Terrorismus“ mit den Anschlägen am 11.9.2001 verbunden wird? Für die Karriere des Terrorbegriffs war das so etwas wie eine Zeitenwende. "Terror" bezeichnet ja - vereinfacht gesagt - "die systematische Verbreitung von Furcht und Schrecken in der Bevölkerung, um bestimmte Ziele durchzusetzen". Eine derartige Instrumentalisierung der journalistischen Medien wie am 11.09.2001 war bis dato so noch nicht praktiziert worden - auch wenn es gerade in Deutschland durch den Terror der RAF der 1970er Jahre einige Erfahrungen mit der medialen Darstellung terroristischer Akte gegeben hatte. Als ein prominentes Beispiel für eine besonders perfide Propaganda der Tat durch die RAF kann die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer gelten, dessen kaltblütige Ermordung quasi via "Tagesschau" angekündigt worden ist. Am 11. September 2001 zeigten sich nun zwei weitere Dimensionen des "neuen Terrorismus": Die koordinierte Entführung von Passagierflugzeugen, die als Waffen missbraucht und bewusst in mehrere zivile Gebäude gesteuert wurden. Und die Live-Übertragungsmöglichkeit, die in der Medienmetropole New York per se gegeben war.Wie hat sich die Mediatisierung politischer Gewalt seit 9/11 bis heute geändert?Sie ist professioneller, subtiler und fragmentarisierter. Professioneller, weil die meisten Terrorvereinigungen inzwischen viel koordinierter vorgehen und sich geschult durch die Beschäftigung spezieller Fachleute der Medien bemächtigen und diese handwerklich virtuos bedienen können. Das lässt sich zum Beispiel an den Hinrichtungsvideos erkennen, die mehrmals "geprobt" werden und am Ende wie ein Werbevideo geschnitten und mit Sound unterlegt werden. Das klingt makaber, ist aber etwa für den IS in den Folgejahren zum Hauptrekrutierungswerkzeug geworden. Sie ist subtiler, indem terroristische Propaganda gezielter hergestellt und mitunter nicht mehr so offensichtlich gestreut wird, zum Beispiel in Kommunikationsforen, die für Laien sehr schwer zugänglich und einsehbar sind. Fragmentarisierter ist sie vor allem in der Wahrnehmung des Publikums: Weil heute immer weniger Menschen lineares Fernsehen schauen, findet Terrorpropaganda vor allem über soziale Medien etwa über YouTube und Facebook statt. Es ist für Terroristen allemal schwieriger geworden, ein Millionenpublikum zu erreichen wie am 11. September 2001, weil auch die Medienschaffenden selbst vorsichtig geworden sind und aus den Instrumentalisierungsversuchen gelernt haben. Einige Sender haben sich Statute gegeben, in denen sie sich zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Terrorinhalten verpflichten. Insgesamt ist Terrorismus aber heute mehr denn je ein medial vermitteltes Ereignis, das in seiner digitalen Kommunikation auf öffentliche Effekte statt auf Nahkampf setzt. Die Mediatisierung politischer Gewalt bleibt damit eine der ambivalenten Herausforderungen unserer Zeit.Gibt es nach 20 Jahren eine veränderte ethische und medienwissenschaftliche Perspektive auf 9/11?Auch in der ethischen und medienwissenschaftlichen Perspektivierung nehme ich 20 Jahre nach 9/11 eine Ambivalenz wahr. Das betrifft zum einen die wachsende Verunsicherung bei der ethischen Bewertung der Medienberichterstattung in Bezug auf Krisen- und Terrorereignisse im Allgemeinen: Es gibt schlicht kein Patentrezept, wie Medien ethisch korrekt über Krisen und Terror berichten können und sollten, sondern allenfalls handwerkliche Richtlinien, an denen sich Medienschaffende orientieren können. Das macht es für die medienkritische Betrachtung aber schwierig, dahingehend Empfehlungen auszusprechen. Mitunter habe ich den Eindruck, dass die digitale Medienwelt sich immer schneller verändert und damit auch die Möglichkeiten, wie sich die Kommunikation über Terrorismus verbreitet. Der andere Aspekt ist noch wichtiger: Unsere Gesellschaft steckt prinzipiell in einer Phase der medialen Totalüberforderung. Das gilt vor allem in Bezug auf Krisen: Der Eindruck, dass wir nur noch von Krise zu Krise taumeln und die Welt sich zu einem immer schlechteren Ort entwickelt, führt zu einer Desorientierung und etwas, das wir "Medien-Depression" nennen können - also eine Aversion gegen Medien, die das schon bestehende Ohnmachtsgefühl in der Bevölkerung letztlich verstärken, dass wir ohnehin nichts ändern können. Es ist daher entscheidend, dass wir gemeinsam eine "Digitale Resilienz" entwickeln, die das Publikum zu mehr Souveränität und Selbstwirksamkeit befähigt.Dr. phil. Stephan Weichert ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler sowie einer der Gründer des internationalen Think & Do Tanks VOCER und Ko-Direktor des dazugehörigen Instituts für Digitale Resilienz. Seit 20 Jahren ist er im Hochschulmanagement und in der Journalistenausbildung tätig, davon über 12 Jahre als Professor für digitalen Journalismus in Hamburg und Berlin. Weichert war Leiter des Masterstudiengangs „Digital Journalism“ der Universität Hamburg und Gründungsdirektor des Weiterbildungsprogramms „Digital Journalism Fellowship“ sowie Studiengangleiter an der Hochschule Macromedia für angewandte Wissenschaften in Hamburg. Er hat Soziologie, Journalistik und Psychologie studiert und absolvierte mehrere Forschungsaufenthalte u.a. in New York und Kalifornien (USA). Der Publizist und Filmemacher lebt mit seiner Familie in Hamburg.Twitter: @stephanweichert

Überdimensionale Videoinstallation in der Kunsthalle Mannheim: „If I Could Only Be Sure“ von Johanna Hullár – vom 11. bis 21.11.21Über die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des Lebens: Vom 11. bis zum 21.11.2021 kommt die Videoinstallation „If I Could Only Be Sure“ von Johanna Hullár ins STUDIO der Kunsthalle Mannheim. Die Ausstellung findet in Kooperation mit dem Internationalen Filmfestival Mannheim Heidelberg statt und ist Teil der Sektion „Facing New Challenges“.Das Video zeigt bewegte und überdimensionierte Stillleben im Close-up. Zu sehen sind Alltagsgegenstände und organisches Material in unterschiedlichen Zuständen. Kräftige Farben, Lichteffekte und ein speziell für das Video komponierter Sound wirken auf die Wahrnehmung der Betrachter*innen ein. Die Künstlerin greift zahlreiche Themenfelder der modernen Kunsttheorie wie den Ekel oder das Fluide auf und knüpft an die kunsthistorische Tradition des barocken Stilllebens an. Durch eine Collage verschiedener, sich wiederholender Momente entsteht der Eindruck eines zeitlichen Prozesses.Geboren 1989 in Budapest, hat Johanna Hullár zunächst in Ungarn Fotografie studiert und ihr Masterstudium 2020 in der Schweiz an der École cantonale d’art (ECAL) de Lausanne abgeschlossen. Für das von IFFMH und Kunsthalle Mannheim präsentierte Werk „If I Could Only Be Sure“ erhielt sie dabei den Hochschulpreis der ECAL. Johanna Hullár lebt und arbeitet in Zürich.

Live im Atrium: Konzertabend begleitend zur großen Herbstausstellung „MUTTER!“ am 07.11.2021Felix Mendelssohn und Robert Schumann: zwei Größen, welche in der Musikwelt kaum bekannter sein könnten. Die Namen von Ehefrau Clara Schumann und Schwester Fanny Mendelssohn dürften allerdings – zu Unrecht – einem weniger großen Publikum ein Begriff sein. Die Kunsthalle Mannheim geht allerdings bewusst auf das Werk der beiden Musikerinnen ein: im Rahmen des Begleitprogramms zur aktuellen Sonderausstellung „MUTTER!“.In der Veranstaltungsreihe LIVE IM ATRIUM veranstaltet die Kunsthalle in Kooperation mit der Musikalischen Akademie des Nationaltheater-Orchesters Mannheim mehrere Kammerkonzerte, die die Ausstellungen musikalisch begleiten. Am 07. November um 19 Uhr steht das Konzert zu „MUTTER!“ auf dem Programm. Anschließend an das Konzert kann die Ausstellung auch besucht werden. Gespielt werden Fanny Mendelssohns Klaviertrio d-Moll op. 11 sowie Drei Romanzen op. 22 und Klaviertrio g-Moll op. 17 von Clara Schumann. Wohl kaum zwei Namen der klassischen Musik sind mit der Emanzipation der Frau so untrennbar verbunden.Mit dem internationalen Ausstellungsprojekt „MUTTER!“ zeigt die Kunsthalle Mannheim in ihrer großen Herbstausstellung wie unterschiedliche Wahrnehmungen von Mutterschaft in der Kunst – von Alten Meistern, über Werke der frühen Avantgarde bis zur Gegenwart – gespiegelt werden.Die Ausstellung konzentriert sich jedoch vor allem auf eine Zeit, in der die feministische Bewegung die traditionelle Rolle der Frau in Frage stellt. Vom 20. Jahrhundert mit der Erfindung der Antibabypille und der legalisierten Abtreibung bis hin zu heutigen Rollenkonzepten zwischen biotechnologischen Möglichkeiten und queeren Familienstrukturen, wird das Bild der Mutter im Hinblick auf kulturelle Erwartungen und Normen dargestellt.

Als erstes deutsches Museum widmet die Kunsthalle Mannheim dem bedeutenden Zeichner eine Einzelausstellung.Robbie Cornelissen (*1954) ist ein bedeutender Zeichner im Bereich des Animationsfilms. Die Kunsthalle Mannheim präsentiert ab November großformatige Zeichnungen sowie aufwendig animierte Filme des niederländischen Künstlers im Jugendstilbau. Als erstes Museum in Deutschland würdigt die Kunsthalle Cornelissens Werk in einer Einzelausstellung. Premiere feiert der Film Terra Nova. Die animierte Reise eines Astronauten auf der Suche nach einer neuen Erde wurde eigens für die Mannheimer Schau produziert.Cornelissens Zeichnungen bemessen bis zu 13 Metern und füllen ganze Ausstellungswände. Zu sehen sind teils reale, teils fiktive architektonische Räume in spannungsreichen Schwarz-Weiß-Kontrasten. Leere Bibliotheken, Wartesäle und weite Hallen stellt der Künstler in akribischen Details dar. Mit dem Film Terra Nova, der 10.000 Zeichenzustände in aufwendiger Stop-Motion-Technik zusammenführt, hinterfragt der Niederländer kritisch die stetige – mal hoffnungsvolle, mal verzweifelte – Suche der Menschheit nach neuen Lebensräumen, die in seiner Vision scheinbar im Nichts endet. „Die Arbeit handelt vom Klima und unserer Rolle in der Welt und davon wie wir miteinander und mit der Welt umgehen. Denn ich finde, dass wir in dieser Hinsicht völlig entgleist sind “, so der Künstler.Die Ausstellung steht auch richtungsweisend für die Entwicklung der zeitgenössischen Zeichnung, die einen kompletten Medienwandel vollzogen hat. Künstler*innen wie Robbie Cornelissen spielen – nachhaltig inspiriert von den wegweisenden filmischen Installationen William Kentridges – in ihren Werken mit der Vielfalt von Animationstechniken und den Möglichkeiten digitaler Medien. Er bedient sich in seinen Arbeiten nicht nur unterschiedlicher Medien sondern bezieht sich auch auf die Motivwelt von Klassikern des Science-Fiction-Films wie Fritz Langs „Metropolis“ oder Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“.